Wer heute an Progressive Rock denkt, mag vielleicht an ein eher nostalgisches Genre denken, das seine beste Zeit hinter sich hat. Doch Progressive Rock, das war mal bis aufs Äußerste verdichtete Musik mit filigranen, gewaltigen Rhythmen voller überwältigender Fantasie. Revolutionäre Bands wie Yes und King Crimson standen für die Zelebration von Musik selber – und bewegten sich immer am Puls der Zeit. Doch heute? Heute sind glattgeleckte Spezialisten-Bands übriggeblieben, die seit Jahren den gleichen Prog Metal liefern – und Rockmusik ist zu einem irgendwie egalen Nebengenre von Popmusik geworden. In einer konsumspezialisierten Spotify-Welt, in der Songs in stumpfer Fast Food Manier in zweieinhalbminütige Popsnacks heruntergebrochen werden, wurde zeitgenössisches Songwriting zu gehorsamen Produktdesign.

Doch es gibt Lichtblicke. Das neue Album Bricks der Band LAKE CISCO ist so einer. Bricks ist die euphorische Aktualisierung des alten Prog-Genres, ist wild, komplex, aufrührerisch – eine Auflehnung gegen die langweilige Spotifyisierung. Im berechenbaren und berechnenden Streaming-Kosmos wird das achtminütige Songepos wieder zu einem rebellischen Akt, wird die Verweigerung von durchschaubaren Songstrukturen wieder zum stilisierten Affront, den Rockmusik zu lange vermissen ließ. Erinnert sich noch jemand an die Zeit, in der man noch nicht nach 10 Sekunden wusste, wie der Rest des Songs klingen wird? Als ein Song mehr als nur ein einziges Gefühl vermitteln konnte? Nein? Dann hören Sie Bricks von LAKE CISCO. Musik ist nämlich eigentlich eine aufregende Sache. Man muss sich nur trauen.

Mit Bricks präsentiert sich eine Rockband auf dem Zenit ihres künstlerischen Schaffens und tappt zum Glück nicht in die Fallen, die Progressiv Rock in den letzten 10 Jahren immerzu selber gestellt hat. Trotz ihrer musikalischen Härte kommen LAKE CISCO niemals prollig daher. Die verletzliche Stimme der Sängers Florian Sceszny liegt wie ein dünner Firnis über der rhythmisch komplexen und düsteren Klangarchitektur der Bonner Band. Die Zerbrechlichkeit und Verspieltheit verleiht Bricks eine Punk-Attitüde, die die Musik ungemein zeitgenössisch klingen lässt – und (ja, wir entzünden eine Kerze am Diedrich Diederichsen-Schrein) – subversiven Charme verleiht.

Dabei erinnert Bricks zwar an die legendären OCEANSIZE und THE MARS VOLTA, schafft aber trotzdem den Brückenschlag zu hochaktuellen Musikstilistiken. So erinnern die Opener Famous Last Words und Heartbreaker mit ihrem Vocalsampling mitunter an elektronische Popmusiker wie CARIBOU und THE NOTWIST. Doch hier werden Einflüsse elektronischer Popmusik nie unangenehm, da diese Türen zwar aufgestoßen, aber niemals durchschritten werden. Wie ein roter Faden zieht sich das brillante Schlagzeugspiel von Simon Scheibel durch das Album. Hier „beherrscht“ jemand sein Instrument wirklich im wortwörtlichen Sinne.

Bricks dürfte mit seiner Virtuosität und ständigen Überraschungen alte Progrock-Fans abholen und doch durch sein erfrischendes Maß an wagemutiger Unperfektheit Fans anderer Genres begeistern. Ein gutes Beispiel hierfür: Das kuriose Finale Independence, das mit seinen verspielten Indie Rock-Gitarren zuerst an FOALS erinnert und sich zum Ende hin plötzlich zu einer Art Post Hardcore-Oper hochschraubt. Nachdem die Veröffentlichung ihres Debütalbums Permanent Transient sage und schreibe 10 (!) Jahre her ist, setzt LAKE CISCO fürBricks auf Crowdfunding. Hoffen wir, dass dieses Unterfangen gelingt. Mit Bricks wird musikalisches Spezialistentum wieder zum sympathischen Nerdism. Endlich gibt es wieder einen selbstbewussten, schlauen Repräsentanten eines verlorengeglaubten Genres. Progressive Rock ist wieder da. Welcome back, it’s about time.

 

Bitte unterstützen Sie die talentierten Musiker, damit sie weiter für uns „rocken“ können:

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Mehr Infos gibt es unter: www.lakecis.co

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Text – und Bildquelle: David Trapp/Lake Cisco, Fotocredit: David Trapp/Lake Cisco

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