Meltem Kaptan spielt gerne mit Klischees: Auch in ihrem neuen Film „Alter weißer Mann“ werden Klischees bedient – für Meltem Kaptan ein gutes Mittel, „sie einerseits zu brechen. Andererseits können sie dir aber auch ein Spiegel sein, in dem du deine eigenen Muster entdeckst.“
Im Interview spricht die Moderatorin, Schauspielerin, Buchautorin und Comedienne aus Köln auch über Integration – und das, was wir dabei erreicht haben: „Menschen mit Migrationshintergrund gestalten das gesellschaftliche Leben in Deutschland viel mehr mit als früher. Ich war gerade Anfang 20, als ich in einer Nachrichtensendung das erste Mal eine Moderatorin mit türkischem Nachnamen sah. Es war das erste Mal, dass ich eine Türkin wahrnahm, die sich einen Platz in der deutschen Öffentlichkeit erkämpft hatte. Heute gehören Menschen mit Migrationshintergrund wie selbstverständlich auch vor die Kamera.“
Trotzdem, sagt Kaptan, gehe sie häufig über ihre Grenzen, damit das, was sie leistet, reicht: „Mein Vater sagte meiner Schwester und mir damals immer, dass wir als Deutsch-Türken mehr leisten müssen, um gesehen und anerkannt zu werden. Das steckt bis heute in mir drin.“
Ihre Eltern stammen aus der Türkei, Sie sind in einem Dorf in Ostwestfalen aufgewachsen. Wie würden Sie das Leben dort beschreiben, damals in den 80er-Jahren?
Meltem Kaptan: Seeehr behütet! Harsewinkel war unsere Welt, Bielefeld eine andere Galaxie. Es war ein Leben ganz eng mit der Kernfamilie. Das waren: Mama, Papa, meine Schwester und ich. Mein Papa war technischer Zeichner, meine Mama Türkischlehrerin. Sie hat an der Schule unterrichtet, die ich besucht habe.
Humor ist meine Überlebensstrategie. Ein Humortheoretiker hat einmal gesagt: Humor ist Tragödie plus Zeit.
Ihre Mutter war Integrationsbeauftragte und Vertrauenslehrerin.
Kaptan: Genau, wir lebten deshalb in einem Haus der offenen Türen. Mit allen Sorgen und Nöten kamen die türkischen Eltern zu meiner Mutter. Unser Telefon stand nie still, manchmal bis spät in die Nacht nicht. Mein Vater hat in seiner Freizeit als Fußballtrainer Jugendliche trainiert, echte Multikulti-Teams. Auch das hat zur Verständigung beigetragen. Wenn heute manchmal abwertend über die Integration gesprochen wird, denke ich mir: Das wird den Menschen nicht gerecht, die Tag für Tag so viel für die Integration leisten. Denn die gibt es heute genauso wie damals.
Viele Menschen in Deutschland sind der Meinung, dass Integration in weiten Teilen gescheitert ist.
Kaptan: Ich hingegen sehe das Glas lieber halb voll als halb leer. Auch bei der Integration, auch in unseren schwierigen Zeiten. Natürlich haben wir noch einen Weg vor uns. Aber wir haben auch viel erreicht in den vergangenen Jahren.
Kaptan: Menschen mit Migrationshintergrund gestalten das gesellschaftliche Leben in Deutschland viel mehr mit als früher. Ich weiß noch: Ich war gerade Anfang 20, als ich in einer Nachrichtensendung das erste Mal eine Moderatorin mit türkischem Nachnamen sah. Es war das erste Mal, dass ich eine Türkin wahrnahm, die sich einen Platz in der deutschen Öffentlichkeit erkämpft hatte. Heute gehören Menschen mit Migrationshintergrund wie selbstverständlich auch vor die Kamera. Ich lebe sehr gerne in diesem Land und auch für mich hat sich vieles positiv entwickelt.
Als türkische Gymnasiastin gehörten Sie in den Neunzigern zu einer kleinen Minderheit. Haben Sie dort Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht?
Kaptan: Nicht ständig, aber es gab auch schwierige Momente. Meine Deutschlehrerin in der zehnten Klasse sagte mal zu mir: „Meltem, du hast im Mündlichen eigentlich die Note Eins verdient. Aber ich kann sie dir nicht geben, sonst mache ich mich im Lehrer-kollegium unglaubwürdig.“ Und tatsächlich bekam ich dann eine Zwei.
Kaptan: In dem Moment wurde mir klar, dass mein Vater recht hatte. Er sagte meiner Schwester und mir damals immer, dass wir als Deutsch-Türken mehr leisten müssen, um gesehen und anerkannt zu werden. Auch wenn es unfair ist. Das steckt bis heute in mir drin. Ich bin perfektionistisch veranlagt und gehe häufig über meine Grenzen, weil ich das Gefühl habe, dass es sonst nicht reicht, ich immer noch eine Schippe drauflegen muss.
Sie sind Schauspielerin, Moderatorin, schreiben Bücher und machen Comedy. Hilft Ihnen Ihr Humor, so positiv durchs Leben zu gehen?
Kaptan: Absolut. Ich glaube, da ist was dran. Humor ist eine Strategie, um Abstand zu den Absurditäten des Alltags zu bekommen, darüber zu lachen und sich frei zu machen. Humor hilft uns, in unserer eigenen Kraft zu bleiben und fördert Resilienz.
Doch letztlich gibt es nicht „die Türkin“ oder „den Deutschen“. Wir sind alle Menschen, wir haben alle Bedürfnisse, Sorgen und Ängste.
Auf der Bühne spielen Sie oft mit Klischees. Über welche Klischees von Deutschen und Türken machen Sie am liebsten Späße?
Kaptan: Da gibt es sehr viele lustige Dinge. Ich bin ja mit einem Deutschen verheiratet, da habe ich ganz viel Anschauungsmaterial. Ein lustiges Klischee über Türken ist, dass wir Rudeltiere sind. Wenn wir eine schwierige Entscheidung treffen müssen, fragen wir erst einmal die Verwandtschaft und am besten gleich das ganze Dorf um Rat. Mein Mann hingegen macht alles mit sich selbst aus. Er muss dann erst mal „eine Nacht drüber schlafen“ oder „mal ’ne Runde um den Block“. Aber das sind einfach kleine, nette Reibereien einer deutsch-türkischen Ehe. Doch letztlich gibt es nicht „die Türkin“ oder „den Deutschen“. Wir sind alle Menschen, wir haben alle Bedürfnisse, Sorgen und Ängste.
Auch Ihr neuer Film „Alter weißer Mann“ spielt mit vielen Klischees. Wie stehen Sie dazu? Oder anders gefragt: Braucht es vielleicht sogar Klischees, um auf Missstände hinzuweisen?
Kaptan: Sowohl im Film als auch auf der Bühne kann man Klischees herrlich ad absurdum führen. Dadurch kann man sie einerseits brechen. Andererseits können sie dir aber auch ein Spiegel sein, in dem du deine eigenen Muster entdeckst.
Der Film setzt sich ja vor allem mit Missverständnissen und Kämpfen des „alten weißen Mannes“ auseinander. Die Hauptfigur Heinz Hellmich stolpert dabei von einem Fettnäpfchen ins nächste. Was können wir alle denn besser machen, um wieder mehr Brücken zu bauen und empathisch aufeinander zuzugehen?
Kaptan: Das Wichtigste ist, dass wir in unserer polarisierenden Zeit in der Begegnung nicht verkrampfen. Dabei auch Fehler zulassen: bei uns und bei anderen.
Kann uns Sprache dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen?
Kaptan: Ich finde beispielsweise gut, wenn Sprache versucht, inklusiv zu sein. Wir sollten uns dabei aber nicht im Detail verlieren. Schließlich soll es die Begegnung fördern und nicht verhindern. Denn egal, wie unterschiedlich wir sind: Wir sitzen alle im selben Boot und sind Kinder unseres Landes. Wir sollten immer wieder versuchen, uns gemeinsam an einen Tisch zu setzen. Das tun die Figuren des Films im Übrigen auch.
„Sich gemeinsam an den Tisch setzen“ – das kann für vieles stehen. Was bedeutet es für Sie?
Kaptan: Es ist symbolisch gemeint. Für mich steht der Aspekt der Gemeinschaft im Vordergrund. Ich habe immer mehr den Eindruck, dass wir uns nur noch um uns selbst drehen und nur noch unsere eigenen Standpunkte vertreten. Unser Gegenüber und seine Beweggründe nehmen wir kaum noch wahr. Für mich ist das einer der Hauptgründe dafür, dass sich immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft einsam fühlen und Ängste entwickeln. Und genau diese Ängste sind es auch, die dazu beitragen, dass man immer radikalere politische Ansichten entwickelt.
Text – und Bildquelle: Apotheken Umschau/ Wort & Bild Verlagsgruppe, Fotocredit: Wort & Bild Verlagsgruppe/Mathias Bothor