Anderthalb Jahre nach seinem Prozess um eine angebliche antisemitische Beleidigung (KNJ berichtete) gibt sich der Popmusiker Gil Ofarim selbstkritisch. „Das Video war der größte Fehler meines Lebens“, sagte Ofarim im exklusiven Interview dem stern. Der jüdische Sänger hatte im Oktober 2021 in einem Instagram-Video den Mitarbeiter eines Leipziger Hotels beschuldigt, ihn antisemitisch beleidigt zu haben. Nun sagte Ofarim dem Magazin: „Ich habe mit dem Video nicht nur mir selbst und meiner Familie geschadet, sondern letztlich allen Juden in Deutschland.“ Es tue ihm sehr leid, dass er damit dem Kampf gegen den Antisemitismus ungewollt einen Bärendienst erwiesen habe. „Das wollte ich nicht.“
Im Interview schilderte der Popsänger, dass er teuer für seinen Fehler bezahlt habe. Schon wenige Tage nachdem er das Video veröffentlicht hatte, gab es Zweifel an Ofarims Version, für die sich keine Zeugen fanden. „Es ist einfach alles über mir zusammengebrochen. Bestehende Verträge wurden gekündigt, neue Aufträge bekam ich bald auch keine mehr.“ Dazu sei öffentlicher Hass gekommen, bis heute bekomme er Morddrohungen. Die Folge: Panikattacken, Herzrasen. „Also habe ich getrunken, jeden Tag. Ich wollte, dass der Schmerz aufhört.“
Heute gehe es ihm mental besser, so Ofarim. Er habe im vergangenen Jahr acht Monate in einer psychiatrischen Tagesklinik verbracht. Finanziell dagegen sei er in Not. Er lebe von geliehenem Geld, habe die meisten seiner Wertsachen verkauft, musste seine Wohnung in München aufgeben. Auch deswegen hoffe er, dass sein für die kommenden Wochen geplantes Comeback gelinge.
Nun offenbart dessen Anwalt, warum Ofarim völlig überraschend seine Anschuldigungen zurücknahm. „Sie können schreiben, dass Ofarims Anwälte ihn zum Geständnis geprügelt haben. War mühsam“, sagte der Staranwalt Alexander Stevens dem stern. Stevens war einer von vier Strafverteidigern, die Ofarim vertraten.
Nach dem fünften von zehn geplanten Verhandlungstagen habe das Gericht ein Angebot gemacht, das Verfahren unter Auflagen einzustellen, sagte Stevens weiter. Die vier Anwälte hätten dem Musiker anschließend das Angebot unterbreitet: Ofarim solle ein Geständnis ablegen, sich entschuldigen, 10.000 Euro an zwei jüdische Einrichtungen zahlen. Damit gelte er juristisch als unschuldig und die Staatskasse müsse die Gerichtskosten tragen. „Wir haben ihm versucht zu erklären, dass dieser Deal das juristisch Beste ist, was in Anbetracht der Situation machbar war und er das nicht ausschlagen sollte“, sagte Stevens. (KNJ berichtete)
Trotzdem habe sich Ofarim zunächst gegen den Rat seiner Anwälte gewehrt. „Er hat immer wieder wiederholt, dass er nicht lügen könne, dass es einen anderen Weg geben müsse“, so Stevens. Auch andere, die das Gespräch miterlebten, bestätigten dem stern den Inhalt des Gesprächs. Darunter Ofarim selbst. Die Anwälte hätten gesagt, „dass auf mich im Falle einer Verurteilung rund 100.000 Gerichtskosten zukämen. Dabei wusste ich ja zu der Zeit schon nicht mehr, wie ich die Anwälte weiterbezahlen sollte“, sagte Ofarim. Letztlich habe er sich aber vor allem deshalb für das Geständnis entschieden, weil er Angst hatte im Falle einer psychiatrischen Begutachtung im Prozess das Sorgerecht für seine Kinder zu verlieren. Ofarim hatte damals ein Alkoholproblem, trank nach eigenen Angaben jeden Tag.
Ofarim war unter anderem wegen Verleumdung angeklagt. Er hatte einen Mitarbeiter eines Leipziger Hotels öffentlich beschuldigt, ihn antisemitisch beleidigt zu haben. Um freigesprochen zu werden, hätte Ofarim seine Anschuldigungen beweisen müssen. Für seine Version gab es jedoch keine Zeugen, eine Verurteilung schien wahrscheinlich.
Quelle: Stern, Fotocredit: Gil Ofarim/Facebook