Tim Mälzer hat in sein Restaurant „Bullerei“ eingeladen. Auf dem Laptop flimmert der erste Trailer seines neuesten Projekts „Herbstresidenz“. Nach der Erfolgsserie „Zum Schwarzwälder Hirsch“ 2022 ist es bereits das zweite Inklusionsformat, das er gemeinsam mit Schauspieler André Dietz begleitet hat.

Herr Mälzer, nachdem Sie jetzt selbst kurzzeitig Bewohner eines Pflegeheims waren: Haben Sie mehr oder weniger Angst vor dem Älterwerden als vorher?

Tim Mälzer: Mehr. Glaube ich.

Warum?

Mälzer: Weil ich jetzt weiß, dass Altwerden nichts für Feiglinge ist.

Wie meinen Sie das?

Mälzer: Mir ist einfach klar geworden, dass sich deine Bedürfnisse nicht ändern, nur weil du alt wirst. Dein Gefühl wird nicht alt. Du wirst vielleicht langsamer und vergesslicher, aber deine Sehnsüchte, deine Ängste, die bleiben. Deine Hülle wird schrumpelig, aber die Augen bleiben spitz. Und es gab Momente, bei denen ich sage: Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese später so erleben möchte.

Das ist doch eigentlich verrückt: Es ist dein letztes Zuhause, aber es fühlt sich an, als würdest du in ein Krankenhaus einziehen.

Das klingt jetzt aber nicht so, als hätten Sie sich besonders wohlgefühlt.

Mälzer: Mein Zimmer war okay, und es war sehr nett, wie ich vom Personal und von den Bewohnern empfangen wurde. Das Heim hatte aber nichts Muckeliges. Und das ist doch eigentlich verrückt: Es ist dein letztes Zuhause, aber es fühlt sich an, als würdest du in ein Krankenhaus einziehen.

Was genau hat Sie denn so gestört?

Mälzer: Die Atmosphäre, der Geruch, die Materialien. Ich habe schnell festgestellt, dass all die Möbel und Gegenstände nur eine Aufgabe haben: Nicht auffallen, lang halten und sie müssen gut sauber zu machen sein.

Das hört sich nicht gemütlich an.

Mälzer: Ich habe Nischen vermisst, Rückzugsräume, diese Kaminfeuermomente, die man zu Hause hat. Nun war ich freiwillig da und wusste, dass ich wieder gehen kann, aber die Vorstellung, dass sich die Tür für immer hinter mir schließt, die war echt schlimm.

Sie haben aber dann in dem Pflegeheim ziemlich viele Dinge umgekrempelt …

Mälzer: Ich habe mich gefragt: Wenn das hier mein Zuhause wäre, was würde ich anders machen? Daraufhin haben wir dann erst mal die Wände neu gestrichen. Von diesem tristen Gelb auf warme, grüne Töne. So war die Atmosphäre viel schöner. Und wir haben die Fotoalben der Bewohner geplündert und ihre persönlichen Bilder im Flur aufgehängt, um den Leuten auch mal außerhalb ihrer Zimmer ein Gesicht zu geben.

Unsere Gesellschaft ist leider irgendwann dazu übergegangen zu glauben: Jemand im Heim kann nichts mehr.

Haben Sie auch gekocht?

Mälzer: Ich habe mit den Bewohnern gekocht, weil ich der Überzeugung bin, dass in ihnen ganz viel Potenzial steckt. Nur ist unsere Gesellschaft leider irgendwann dazu übergegangen zu glauben: Jemand im Heim kann nichts mehr. Also übernehmen wir alles für diese Menschen. Aber dadurch machen wir sie zu Kleinkindern. Klar gibt es Bewohner, die viel Unterstützung brauchen, aber es gibt einige, die noch sehr viel können. Sie vergessen es nur manchmal.

Wie haben Sie alle eingebunden?

Mälzer: Wir haben Spargel geschält und dabei gequatscht. Wie zu Hause: mit Zeitungspapier auf dem Tisch in großer Runde. An diesem Tag hat jeder sieben Stangen gegessen. Sieben Stück! Viel mehr als sonst! Warum? Weil alle beteiligt waren. Das war unfassbar schön zu sehen – vor allem, weil Essen in Pflegeheimen ein echtes Problem ist.

Weil es meistens nicht schmeckt?

Mälzer: Das Essen an sich war völlig okay. Von der Ästhetik her etwas trostlos, aber es war auf den Punkt. Mir ist dann aber aufgefallen: Es riecht nirgends nach Essen. Was irgendwie auch klar ist, weil es weit weg von den Bewohnern in der Kantine gekocht wird. Aber du brauchst doch Geruch im Raum! An einem Tag habe ich für mich ein bisschen Speck gebrutzelt. Und da sehe ich einen Mann, der bis dahin immer still und teilnahmslos am Tisch saß, wie er auch den Speck riecht. Plötzlich steht er auf und lächelt mich an. Da wurde mir klar: Aha, so etwas müssen wir öfter machen.

Speck brutzeln?

Mälzer: Ich weiß, es klingt banal. Das ist ja das Verrückte: Ich habe eigentlich gar nichts getan. Wir haben ein paar Fotos aufgehängt, Spargel geschält und alles ein bisschen gemütlicher gemacht. Aber plötzlich merken wir: Die Menschen reden wieder miteinander, sie fangen an, von zu Hause zu erzählen. Aus all diesen Erinnerungen entstand eine enorme Energie. Auf einmal war der Soundtrack ein anderer.

Klingt so, als müsste man eigentlich nur an vielen kleinen Schräubchen drehen.

Mälzer: Ja, im Grunde schon. Aber das Problem ist, dass es für so etwas Zeit braucht. Die hat das Pflegepersonal aber nicht. Nun wussten wir vom „Schwarzwälder Hirsch“, dass es Menschen gibt, die gerne in der Altenpflege arbeiten würden. Hoch motivierte junge Menschen, die aufgrund einer Behinderung keinen Platz auf dem ersten Arbeitsmarkt bekommen. So ist die Idee entstanden, beides zu verknüpfen. Und dann haben wir glücklicherweise ein Pflegeheim gefunden, das sich bereit erklärt hat, das Experiment „Herbstresidenz“ mit uns zu wagen.

War es erfolgreich?

Mälzer: Es war magisch. Es war ein Austausch und eine Intensität, mit der wir nie gerechnet hätten. Die Bewohnerinnen und Bewohner des Heims haben bekommen, was sie gebraucht haben. Gleichzeitig haben sie die Schüler bei ihrer Ausbildung unterstützt. Am Ende hat sich für alle eine Tür geöffnet.

Welches Feedback haben Sie von den Pflegenden bekommen?

Mälzer: Das war positiv. Unsere Schüler haben am Anfang ganz banale Dienste übernommen, so etwas wie Wasserflaschen austauschen oder die Zimmer zurechtmachen. Alleine das hat den Pflegekräften eine Stunde mehr Zeit am Tag gebracht. Dadurch wurde Entlastung geschaffen, die sofort genutzt worden ist. Plötzlich war wieder Zeit da, um mit den Bewohnern spazieren zu gehen. Zeit fürs Zuhören, Zeit für Gespräche.

Und wie nachhaltig war das?

Mälzer: Das war sehr nachhaltig. Alle Auszubildenden haben ein Jobangebot von dem Pflegeheim bekommen. Wer wollte, konnte bleiben. Die Leitung des Heims hat sofort verstanden, worum es geht, nämlich die Zwischentöne abzudecken, damit die laute Pauke besser rüberkommen kann.

Dann war Ihr Projekt ja ein voller Erfolg!

Mälzer: Ja! Aber mich kann ich dafür nun wirklich nicht feiern. Ich habe lediglich ein paar Dinge angestoßen, bin aber nicht der Heilsbringer und auch kein Pfleger. Beim letzten Mal war ich gut, also beim Schwarzwälder Hirsch, weil ich da zum Beispiel ein Lehrkonzept für die Menschen mit Behinderung in der Gastronomie mitentwickelt habe. Diesmal habe ich nur ein paar Dinge angestoßen. Es war gesunder Menschenverstand, ein bisschen Energie, ein bisschen Humor. Eigentlich habe ich nur Speck gebraten.

                                 Da arbeiten Menschen im Pflegeheim, die tagtäglich ihr Bestes geben, die sich wahnsinnig respektvoll um die Leute kümmern.

Trotzdem konnten Sie ja einiges bewirken.

Mälzer: Ich kann mich da nur wiederholen: Ich bin da nicht der Heilsbringer gewesen. Ich benutze meine Öffentlichkeit, mein Gesicht, um Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Das ja. Aber ich möchte gerne den Leuten die Bühne überlassen, die wirklich dahinterstecken und sich täglich der Pflege von Menschen widmen. Es gibt immer Dinge, die man besser machen kann. Aber da arbeiten Menschen im Pflegeheim, die tagtäglich ihr Bestes geben, die sich wahnsinnig respektvoll um die Leute kümmern. Da passiert schon viel Gutes!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Text – und Bildquelle: Apotheken Umschau. Fotocredit: Wort & Bild Verlag/picture-alliance-dpa-Christian-Charisius

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