Vor wenigen Tagen ist die zweite Staffel der Serie „Totenfrau“ mit Anna Maria Mühe auf Netflix gestartet. In ihrer Rolle als Brünhilde Blum wird die Schauspielerin von der Vergangenheit eingeholt: die Bestatterin muss um ihre eigene Tochter fürchten. Im Interview spricht Anna Maria Mühe über absurde Situationen bei den „Totenfrau“-Dreharbeiten, ihre Vorbilder beim Schauspielern und ihren späten Schritt auf die Theaterbühne.
Frau Mühe, Sie sind Teil einer Werbekampagne zur Situation der Pflege und zeigen sich dort als alte Frau. Mögen Sie sich so?
Anna Maria Mühe: Zuerst fand ich die Fotos merkwürdig und befremdlich. Dann schaute ich sie mir noch mal an und dachte: „Ach, das ist ja eine hübsche, freundliche Oma.“ Wenn ich im Alter so aussehen darf, freue ich mich.
Sie werden im Sommer 40 – welche Gedanken machen Sie sich über das Alter?
Mühe: Bislang hatte ich da eher romantische Vorstellungen: Ich wohne mit meinen Liebsten in einem großen Haus, und alle unterstützen sich gegenseitig. Das funktioniert aber nur, solange die Mehrheit mobil und fitter ist als der Rest. Die Auseinandersetzung damit, was im Alter sein wird, sollte eher früher als später stattfinden. Das muss nicht immer gleich lösungsorientiert sein. Wichtig ist, überhaupt mal in die Köpfe zu holen, was das bedeutet.
Die Auseinandersetzung damit, was im Alter sein wird, sollte eher früher als später stattfinden.
Auch was es heißt, auf Pflege angewiesen zu sein?
Mühe: Ich habe viele Freunde, deren Eltern in Pflegeeinrichtungen leben und bekomme mit, wie überlastet die Pflegerinnen und Pfleger, aber auch die Angehörigen sind. Wie es sein wird, wenn ich vielleicht eines Tages auf Hilfe angewiesen bin, mag ich mir nicht vorstellen. Es gibt zu wenig Personal, und das wird nicht angemessen bezahlt – alles lange bekannt. Wir müssen endlich gegensteuern mit einer vernünftigen Pflegereform.
Beruflich sind Sie gerade als Bestatterin und zweifache Mutter zu sehen, die zur Mörderin wird: Die zweite Staffel von „Totenfrau“ ist gerade bei Netflix angelaufen. Wie war die Wiederbegegnung mit Ihrer Rolle, der Brünhilde Blum?
Mühe: Ich hatte mich wahnsinnig gefreut, als es hieß, wir machen weiter. Die Auseinandersetzung mit der Brünhilde Blum ist sehr spannend.
Es gibt ein paar blutrünstige Szenen. Wie war es für Sie, wenn es hieß: „Jetzt trennst du den Kopf ab und legst ihn zur anderen Leiche dazu in den Sarg?“
Mühe: Am Set selbst könnte die Situation nicht absurder und lustiger sein. Wenn Blum ein Körperteil absägt und das Blut spritzt, „säge“ ich in Wirklichkeit in der Luft, und darunter sitzt der Requisiteur und verteilt das Kunstblut. Es ist ein recht technischer Vorgang. Nichts, was mich emotional besonders berührt hätte.
Wir erleben Blum in einer Szene als fürsorgliche Mutter – und in der nächsten als Mörderin. Trotzdem will man, dass sie damit durchkommt.
Mühe: Wenn Sie das so erlebt haben, dann habe ich alles erreicht, was ich wollte. Das war für mich die größte Herausforderung, die Zuschauer nicht auf der Strecke zu verlieren, obwohl Blum Dinge tut, die moralisch absolut verwerflich sind.
Es funktioniert auch deshalb, weil die Opfer noch viel böser sind. Brauchten Sie nach einem Drehtag lange, um wieder runterzukommen?
Mühe: Währenddessen hätte ich wahrscheinlich geantwortet: Ich kann meine Rolle sofort ausknipsen, kein Problem. Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich vieles mit in den Alltag genommen habe: immer auf dem Gaspedal; eine Unruhe, die ich schwer ablegen konnte.
Sie hatten für die erste Staffel Kohlenhydrate von Ihrem Speiseplan gestrichen. Für die zweite auch?
Mühe: Ja. Abgesehen davon, dass man einen definierteren Körper bekommt, wenn man auf das alles verzichtet, hilft es auch, tagsüber weniger müde zu sein. Ich habe ohne Pasta mehr Energie.
Kraft brauchten Sie auch: Gleich in Folge eins prügeln Sie sich mit einem Schrank von einem Mann. Wie lange haben Sie an dieser Kampfszene gedreht, bis alle zufrieden waren?
Mühe: Einen Tag. Superanstrengend, aber unglaublich toll. Ich habe das sehr geliebt. Wir haben die Kämpfe zwei, drei Monate einstudiert. Dadurch war es auch eine physische Auseinandersetzung: Was wird die Figur zulassen? Was treibt sie auf die Palme, was kann sie tun, wie kann sie sich wehren, ohne dass sie aussieht wie ein Profi?
Staunen Sie manchmal selber, wie unverwüstlich die Blum ist?
Mühe: Auf jeden Fall! Sie steht immer wieder auf. Das hat etwas von Superheldin. Das ist das Schöne an Film, es darf überhöht sein.
Haben Sie sich von einer Bestatterin den Umgang mit Toten zeigen lassen?
Mühe: Ja, ich habe mir alle Schritte zeigen lassen, die ich in unserer Geschichte auch machen muss. Ich will von einem Beruf, den ich darstelle, auch etwas verstehen. Das hat für mich etwas mit Respekt zu tun. Das wiederum ist das Tolle an meinem Beruf: Ich darf sehr viel lernen. Wie viel Kraft es kostet, die Leichenstarre zu lösen, ist enorm. Eine schräge Erfahrung.
Seit etwa zwei Jahren spielen Sie auch Theater. Haben Sie den Schritt bewusst erst spät gewagt?
Mühe: Ich glaube daran, dass alles zur richtigen Zeit kommt. So war es mit dem Theater. Mit meinem Namen auf eine Bühne zu gehen, bedeutet, strenger bewertet zu werden. Dafür musste ich bereit sein.
Mit meinem Namen auf eine Bühne zu gehen, bedeutet, strenger bewertet zu werden. Dafür musste ich bereit sein.
Anna Maria Mühe, Schauspielerin
Sie spielen auf die Vergleiche mit Ihren Eltern, Ulrich Mühe und Jenny Gröllmann, an?
Mühe: Das Thema Vergleich ist nie durch, die Menschen sind leider so. Durch ist, dass es etwas mit mir macht.
Früher wollten Sie nicht auf Ihre früh verstorbenen Eltern angesprochen werden. Ist das inzwischen okay für Sie?
Mühe: Nein, aber man wird älter, und es gehört zu meiner Geschichte. Im Nachhinein finde ich vermessen, wie viele Medien mich früh auf diese Verluste angesprochen haben. Jeder konnte erahnen, durch was ich ging und erwartete trotzdem eine Haltung von mir. Jetzt kann ich ganz klar sagen, worüber ich reden möchte und worüber nicht. Ohne das Gefühl zu haben, ich bin die anstrengende Schauspielerin.
Inwiefern waren Ihre Eltern Vorbild?
Mühe: Ich weiß, dass meine Art der Vorbereitung ziemlich genauso ist, wie die meines Vaters war. Das erkenne ich heute anhand seiner alten Drehbücher und seiner Anmerkungen darin. Manche Dinge passieren, ohne dass man sich bewusst dafür entscheidet.
Sie haben auch mal Romy Schneider als Vorbild genannt. Gilt das immer noch?
Mühe: Absolut. Ich finde auch Kelly Reilly aus „Yellowstone“ grandios. Aber: Was heißt eigentlich „Vorbild“? Ich schaue gerne Kolleginnen zu, die ihren Beruf voll ausschöpfen.
Zugleich stehen Sie zu Ihrer Vorliebe für Trash-TV.
Mühe: Ja, das ist herrlich zum Abschalten. Es gibt nichts Besseres nach einem anstrengenden Drehtag. Dann kann ich keinen guten Film, keine gute Serie schauen, das wäre viel zu viel Input. In diesen Momenten sind solche Formate Gold wert.
Sie haben mal selbst von sich gesagt, dass Sie im Job anstrengend sind …
Mühe: In der Vorbereitung arbeite ich gerne eng mit der Regie zusammen, um mögliche Unklarheiten, die am Set aufkommen könnten, schon beiseitezuschaffen. Es kostet sehr viel Zeit und Energie, wenn man die Fragen erst am Set stellt.
Sie sind mit Ihren Eltern mehrfach umgezogen. Was hat das mit Ihnen gemacht?
Mühe: Ich glaube, für meinen Beruf waren diese Erfahrungen eine Bereicherung. Ich habe achtmal die Schule gewechselt. Für meine zwölfjährige Tochter könnte ich mir nicht vorstellen, sie aus ihrem Umfeld herauszureißen. Ich sehe an ihr, was es bedeutet, einen Freundeskreis aufzubauen und eine beste Freundin über Jahre hinweg zu haben. Das hatte ich nie. Trotzdem bin ich nicht traurig, denn ich hatte eine aufregende Kindheit. Seit ich 18 war, habe ich viele wertvolle Freundschaften aufgebaut – anscheinend hatte ich da ganz viel nachzuholen. Freundschaften sind wie eine gewählte Familie.
Ich bin harmoniesüchtig, dazu stehe ich.
Und in dieser Familie soll es allen gut gehen, dafür sorgen Sie?
Mühe: Ich bin harmoniesüchtig, dazu stehe ich. Aber das bedeutet nicht mehr, dass ich ständig über meine Grenzen gehe und mein Wohlbefinden hintanstelle. Das war vor ein paar Jahren sicher anders. Freundschaften verändern sich, enden manchmal, und so wächst man daran. Ich bin mittlerweile konfliktbereiter.
Gibt es eine Eigenschaft, die Sie gern noch besitzen würden?
Mühe: Ich wäre in manchen Situationen gern geduldiger. Das ist lustig, weil viele sagen, dass ich geduldig wirke, so in mir ruhend. Aber in mir brodelt es oft und ich halte mich zwar zurück, aber es macht trotzdem etwas mit mir. Das würde ich gerne minimieren.
Text – und Bildquelle: Apotheken Umschau/Thomas Röbke, Fotocredit: Nils Schwarz