„Let’s Dance“-Juror Jorge González spricht im Interview über seine Vergangenheit, Vielfalt in der Modewelt und blöde Kommentare auf Social Media.
„Hola Chicas!“ Mit diesem Spruch wurde Jorge González, 57, als Laufsteg-Trainer bei „Germany’s Next Topmodel“ berühmt, bevor er zur RTL-Tanzshow „Let’s Dance“ ging. Im Interview spricht González über seine Kindheit auf Kuba, den Weg vom Atomnuklearökologen zum Laufsteg-Trainer und wie er mit Anfeindungen in den sozialen Medien umgeht.
Herr González, auch auf die Gefahr hin, dass Sie das ständig gefragt werden: Darf ich mal Ihre Schuhe sehen?
Jorge González: (lacht) Natürlich!
Sie haben tatsächlich Stöckelschuhe an!
González: Das sind doch keine Stöckelschuhe! Richtige High Heels starten bei elf Zentimetern. Der Absatz hier ist gerade mal drei Finger hoch. Sehr bequem übrigens.
In jedem Fall extravagant! Im Ernst: Sind Sie jemand, der gerne auffällt?
González: Nein. Darum geht es mir nicht. Ich bin einfach so. Das ist mein Stil! Ich mag Individualität und ich habe keine Angst, anders zu sein. Ich richte mich nicht nach anderen. Alles, was ich tue, tue ich für mich.
Trotzdem erregen Sie doch bestimmt jede Menge Aufmerksamkeit mit Ihrem Stil. Wie oft werden Sie auf der Straße angesprochen?
González: Immer! Aber das liegt nicht an meiner Kleidung oder meinen Schuhen. Ich glaube, die Leute spüren meine Lebensfreude und meine positive Energie! Wenn ich draußen unterwegs bin, dann schaue ich den Leuten direkt in die Augen. Und wenn sie zurückgucken, dann lache ich. Damit will ich sagen: „Hey, wenn du mich ansprechen willst, bin ich da. Und wenn du mich begrüßen willst, kriegst du ein ,Hola!‘“ Das macht viel. Das kostet nichts! Aber es versüßt das Leben!
Sie haben bis 1985 in Kuba gelebt. War es dort überhaupt möglich, Ihre Gefühle und Ihren Stil auszuleben?
González: Nein, das konnte ich nicht. Homosexualität war damals verboten in Kuba. Und das ist etwas Grausames. Für einen selbst ist es normal, so zu sein. Du weißt schon als Kind, was du bist, aber du kannst dich nicht entfalten, weil die Gesellschaft sagt, so wie du bist, bist du nicht gut. Ich habe mich immer gefragt, was stimmt nicht mit mir?
Was macht so etwas mit einem?
González: Es kreiert Angst, aber auch Stärke. Ich habe immer an mich geglaubt und gesagt: Du bist gut so, wie du bist, und du musst das Beste aus dir machen. Trotzdem hatte ich als Kind immer auch Traurigkeit in mir.
Weil Sie gespürt haben, dass Sie nicht sein dürfen, wie Sie wirklich sind?
González: Ich hatte Angst, dass etwas Schlimmes passieren wird, wenn ich es rauslasse. Mit mir, aber auch mit meiner Familie, die ich sehr geliebt habe. Vieles war gesellschaftlich nicht toleriert. Ich weiß noch, wie mein Vater mich mal erwischt hat, als ich mit Schmuck und Stöckelschuhen meiner Oma gespielt habe. Er hat gesagt: Männer tun das nicht! Das hat mich lange Zeit verfolgt.
Die Frage: Wann ist ein Mann ein Mann?
González: Ja! Muss ich denn ein Kind zeugen, um männlich zu sein? Mich benehmen wie King Kong? Das sind doch alles Schubladen und Klischees!
Mit 17 haben Sie Kuba dann verlassen, um in Bratislava, heute Slowakei, Atomnuklearökologie zu studieren.
González: Ja! Ein sehr interessantes Fach. Damals in den 80er-Jahren wurden ja überall neue Kraftwerke gebaut. Und die Nuklearenergie war etwas ganz Neues. Ich war sehr gut in der Schule, ich war ehrgeizig. Das Fach war nicht meine Passion. Aber es war mein Ticket in die Freiheit, raus aus Kuba.
Und wie wird aus einem Atomnuklearökologen ein Laufsteg-Trainer?
González: Ich habe immer gebrannt für Musik, Tanz und Kunst. Irgendwann habe ich als Student angefangen zu modeln. Dabei habe ich entdeckt, dass ich anderen helfen kann, besser zu laufen oder zu tanzen. Da wurde der Catwalk-Trainer Jorge geboren. (lacht) Ich kannte das Wort damals nicht einmal.
González: Es wurde damals oft vermittelt, dass die Mädels so sein mussten, wie Heidi Klum das wollte. Das ist aber Quatsch. Die Mädels wollten so sein. Keines dieser Mädchen hat naiv an dieser Show teilgenommen.
Aber hat die Sendung nicht auch bei Zuschauerinnen einen gewissen Druck erzeugt, bestimmten Schönheitsidealen entsprechen zu müssen?
González: Egal wie weit man zurückschaut, ob in die 70er-, 80er-, 90er-Jahre: Es gab immer Parameter für Laufstegmodels. Und bei „Germany’s next Topmodel“ wurden Models gesucht, die ins Business reinpassten. Ich habe schon 2011 gesagt: „Wir brauchen mehr Diversität.“ Aber die Gesellschaft war nicht so weit. Das ist ignorant, aber es war so.
Und heute ist das anders?
González: Wir sehen heute mehr Vielfalt auf den Laufstegen als früher. Designer machen Mode für kurvigere Frauen. Zum Glück. Ich freue mich, dass Frauen mit ein bisschen mehr Pfunden sagen: „Ich bin schön und präsentiere mich so, wie ich bin.“ Dieses Selbstbewusstsein ist toll. Und das zelebriere ich.
Warum hat sich das so entwickelt?
González: Wir haben heute Social Media. Früher musstest du reisen, um Vielfalt zu erleben. Heute kannst du in deinem Wohnzimmer auf dein Handy gucken und du siehst die Welt. Andererseits ist es schlimm, was manche Leute mit Social Media machen.
Haben Sie dort selbst Negatives erlebt?
González: Nein, das stört mich wirklich überhaupt nicht. Das finde ich sogar lustig, wenn es gut gemacht ist. Parodie bedeutet doch, dass sie das was ich mache, wohl grundsätzlich gut finden. (lacht) Die beschäftigen sich schließlich nicht mit jedem. Und ich nehme das als Gratiswerbung mit.
Das heißt, Sie können auch über sich selbst lachen?
González: Oh ja! Ich lache viel über mich selbst. Und wenn jemand über das lacht, wie ich etwas gesagt habe oder wie ich aussehe und es ist ein fröhliches Lachen, dann sage ich: Schön. Ich habe dich glücklich gemacht!
Und wie reagieren Sie auf negative Kommentaren in Social Media?
González: Gar nicht. Ich konzentriere mich auf das Positive, auf das Schöne. Aber wenn ich diskriminiert werde wegen meiner Herkunft oder weil ich homosexuell bin, dann suche ich das Gespräch. Das toleriere ich nicht.
Wie positionieren Sie sich gegen Diskriminierung?
González: Ich bin kein Politiker. Und ich will auch keiner werden. Aber ich habe eine Meinung und die vertrete ich. Ich kann nichts dafür, dass ich nicht in Deutschland geboren bin. Aber ich lebe hier. Und ich bin stolz, was ich in diesem Land geschafft habe. Menschen verlassen ihre Heimat nicht, weil sie wollen. Ich hatte in Kuba 360 Tage schönes Wetter im Jahr, Salsa, Mango und Bananen. Ich bin nach Europa gegangen, weil es meine Rettung war. Meine Chance, so zu sein, wie ich bin!
Rechtspopulistische Parteien finden gerade in Europa mehr und mehr Zuspruch. Macht Ihnen das Angst?
González: Angst ist ein großes Wort. Natürlich mache ich mir Gedanken. Warum geht es gerade in diese falsche Richtung? Ich glaube, dass viele Leute unsicher sind, Angst haben, was ihre Zukunft angeht. Und leider gibt es Demagogen, die das ausnutzen. Ich hoffe, dass junge Leute das kapieren und aufstehen gegen chauvinistische Parolen und Ignoranz.
Wie kann das gelingen?
González: Wir brauchen Bildung! Bildung ist die Basis von allem! Weil sie den Intellekt öffnet und deine Meinung. Wieso müssen wir immer betonen, dass jemand anders ist? Vielleicht ist es ja gut, anders zu sein! Ich bin laut, ich bin extrovertiert und ich lache viel. Das macht vielen gute Laune. Ich tue keinem Menschen etwas Schlechtes. Im Gegenteil.
Haben Sie Hoffnung, dass sich die Stimmung wieder ändert?
González: Ich glaube an die Menschheit und an das Gute. Meine innere Stärke hat mir immer geholfen! Ein gewisser Optimismus, ein Vertrauen in das Leben. Auch wenn viel Mist passiert, verliere ich nicht die Hoffnung. Mein Papa, zu dem ich immer eine gute Beziehung hatte, hat oft gesagt: „Alle negative Energie kann man ins Positive verwandeln. Das ist eine Kraft, die jeder in sich hat.“ Vielleicht entdeckt sie aber nicht jeder. Oder der eine früher und der andere später.
Sie setzen sich immer wieder auch für soziale Projekte, vor allem für solche, bei denen es um Kinder geht. Sie spielen beim Benefiz-Fußballturnier „Kicken mit Herz“ mit und engagieren sich für krebskranke Kinder. Warum ist Ihnen das so wichtig?
González: Ich habe in Deutschland etwas geschafft und immer gesagt: Wenn ich dazu beitragen kann, anderen Menschen zu helfen, bin ich dabei. Weil das schön ist. Ich bin ein Mensch, der gerne gibt. Es mag kitschig klingen: Aber wenn ich ein Kind sehe, das lacht, dann macht mich das glücklich. Dann lache ich mit. Ich war selbst ein Kind, das gerne gelacht hat. Aber ich war auch ein Kind, das viel Angst hatte. Vielleicht macht es mich deshalb so glücklich, wenn ich ein Kind sehe, das fröhlich ist und keine Sorgen hat.
Text – und Bildquelle: Apotheken Umschau, Julia Maria Schulters, Fotocredit: DPA picture alliance/Panama Pictures/Christoph Adolphs