Herr Schropp, die SOS-Kinderdörfer unterstützen junge Menschen, indem sie ihnen bei ihrer Identitätsfindung zur Seite stehen. Warum ist das besonders für junge Menschen wichtig?
Jochen Schropp: Als ich selbst noch nicht so richtig wusste, wo die Reise hingeht, welche sexuelle Orientierung ich habe, hatte ich niemanden um mich herum. Ich glaube, das wäre für mich ganz, ganz wichtig gewesen, wenn ich in meinem Umfeld Menschen gehabt hätte, die die richtigen Fragen gestellt hätten. Denn es ist verwirrend genug, wenn man selbst nicht weiß, wer man ist und da ist Hilfe von außen einfach Gold wert.
Verwirrend genug, sagen Sie… Welche Unterstützung hätten Sie sich gewünscht?
Ich habe die ersten Jahre ja tatsächlich immer gehofft, dass ich vielleicht doch auf Frauen stehe, weil ich einfach dachte, dass das vieles einfacher für mich machen würde. Ich bin als Jugendlicher außerdem von unterschiedlichen Jungs-Gruppen gemobbt worden. Insofern war es für mich dann nach einiger Zeit klar, dass es ein Problem und falsch wäre, homosexuell zu sein. Wenn ich damals jemanden an meiner Seite gehabt hätte, der mir ein Vorbild gewesen wäre und Support gegeben hätte, dann wäre, glaube ich, vieles einfacher gewesen. Ich wünschte mir heute, dass ich mich früher jemandem geöffnet hätte! Ich habe viel zu lange gebraucht, um Hilfe anzunehmen.
Viele junge Menschen, die auf der Suche nach ihrer Identität sind, fühlen sich ausgegrenzt – dadurch fällt es ihnen auch schwer, sich selbst zu akzeptieren. Welche Tipps haben Sie?
Ich glaube, wir machen uns immer viel zu viele Gedanken darum, was alles falsch laufen könnte. Wenn wir uns öfter oder schneller jemandem anvertrauen würden, dann wäre die Reise nur halb so wild. Such dir einen Freund, eine Freundin, vielleicht auch ein Familienmitglied, dem du vertraust. Wenn du niemanden in deinem Umfeld hast, gibt es natürlich auch viele Beratungsstellen, die dich mit offenen Armen empfangen.
In Ihrem Buch „Queer as f*ck“ geben Sie viele Beispiele dafür, dass die Gesellschaft noch lange nicht so tolerant ist, wie sie sein sollte. Was muss sich denn am meisten ändern?
Ich glaube, wir müssen Minderheiten und Randgruppen einfach mehr zuhören. Wir müssen die Menschen fragen: „Was braucht ihr von uns?“; „Wie können wir euch unterstützen?“. Und wir brauchen keine Sätze wie: „Boah, müsst ihr eure Sexualität jetzt wieder in den Vordergrund rücken?“ oder: „Müsst ihr jetzt wieder über Homosexualität sprechen?“ In Filmen und Serien machen queere Charaktere 1 % aus, heteronormative Menschen dagegen 99 %. Lasst uns doch einfach diese 1 % Sichtbarkeit. Wir müssen dafür sorgen, dass mehr Sichtbarkeit und mehr Verständnis da sind.
Sie engagieren sich als Botschafter seit über 15 Jahren für die SOS-Kinderdörfer. Was macht die Hilfe der SOS-Kinderdörfer für Sie unterstützenswert?
Ich durfte ja schon ein paar SOS-Kinderdörfer besuchen und war von den SOS-Kinderdorf-Müttern so begeistert. Die haben ja teilweise ihre eigenen Familien und trotzdem geben sie den Kindern, um die sie sich kümmern dürfen, so viel Liebe und legen so ein Engagement an den Tag. Das zu sehen, hat mich wirklich richtig glücklich gemacht. Natürlich bekommen auch viele Kinder ein Ferien-Angebot oder Sachen gestellt, die sie normalerweise in ihrem Leben nicht hätten. Das finde ich auch bewundernswert. Und dann darf man ja auch nicht vergessen, dass sich die SOS-Kinderdörfer darüber hinaus für Familien und Kindern in Not einsetzen, nämlich da, wo aktuell die Hilfe am meisten gebraucht wird.
Text – und Bildquelle: SOS Kinderdörfer, Fotocredit: SOS Kinderdörfer weltweit/Lukandsimon