In einem offenen Brief  hat sich die Kölner Initiative „Herkesin Meydanı — Platz für alle“ für die Umsetzung des Mahnmals zur Erinnerung der beiden rassistischen Anschläge des NSU in Köln eingesetzt. Der Lern- und Erinnerungsort soll nach dem Entwurf des Berliner Künstlers Ulf Aminde in umittelbarer Nähe der Keupstraße realisiert werden, fordern die Initiative in Verbund mit zahlreichen Betroffenen der Anschläge sowie Kölner Institutionen und Einzelpersonen, die den offenen Brief mitgezeichnet haben. Die Oberbürgermeisterin Reker und der Rat der Stadt Köln werden sowohl in dem Brief als auch in einer Eingabe an den Ausschuss für Anregungen aufgefordert, die kommunalen Möglichkeiten auszuschöpfen. Da die Stadt sich in den vergangenen Monaten mit Verweis auf die Investoren des Grundstücks an der Keupstraße/Ecke Schanzentraße als handlungsunfähig darstellte, zeigt die Initiative nun Handlungsoptionen auf, wie die Stadt Köln ihrer Verantwortung gerecht werden könne. Durch die Einleitung eines rechtsverbindlichen Bebauungsplanes könne das Mahnmal am von vielen Betroffenen gewünschten Standort festgeschrieben werden. Auch im Falle eines Verkaufs des Grundstücks durch die Eigentümergemeinschaft möge die Stadt ihr Vorkaufsrecht geltend machen und die für den Gedenkort notwendige Fläche erwerben.

Die Initiative erklärt hierzu: „Mit dem lapidaren Verweis, dass der anvisierte Standort Privateigentum sei und die Kommune somit keine Handlungsmöglichkeiten habe, stiehlt sich die Kölner Politik und Verwaltung seitdem aus der Verantwortung. Für uns, als Initiativen, die sich in dieser Stadt auf vielfältige Weise gegen Rassismus und für eine lebenswerte  Stadt für Alle engagieren, ist dieses verantwortungslose Verhalten nicht nachvollziehbar. Die Stadtverwaltung hat Spielräume, den Gedenkort an der Keupstraße zu realisieren und wir fordern sie auf, diese endlich zu nutzen.“

Der offene Brief kann ab sofort auf der Seite https://mahnmal-keupstrasse.de gelesen und unterzeichnet werden.

 

Sehr geehrte Frau Reker, liebe Mitglieder des Kölner Stadtrates, 

die Kölner Stadtgesellschaft braucht einen Lern- und Erinnerungsort in Gedenken an die Opfer der rassistischen Anschläge des Nazi-Netzwerks „NSU“. 20 Jahre nach dem ersten Mord an Enver Şimşek wollen wir es nicht mehr hinnehmen, dass in allen Städten, in denen der NSU gemordet oder Anschläge begangen hat, sichtbar und dauerhaft daran erinnert wird, nur in Köln nicht. Wir fordern Sie auf, endlich aktiv zu werden und den Beschluss des Kölner Rats vom 15.12.2015 zum künstlerischen Wettbewerbsverfahren für einen geeigneten Denkmalentwurf in die Tat umzusetzen. Unsere Initiative hat sich im Herbst 2019 aus verschiedenen Einzelpersonen und Initiativen gegründet, um dem Stillstand in der Umsetzung des Mahnmales an der Keupstraße entgegenzuwirken.

Nach der Enttarnung des NSU Ende 2011 wurde in Köln erstmals die Forderung nach einem Gedenkort in direkter Nähe der Keupstraße — also dort, wo der NSU 2004 eine Nagelbombe zündete, um einen Massenmord an MigrantInnen zu verüben —laut. Und es sah gut aus, dass dieses Vorhaben auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs in unmittelbarer Nähe des Tatorts in der Keupstraße realisiert werden könnte. Mehr als 15 Jahre war unter reger Beteiligung von Bürger*innen und Initiativen über die Pläne zur Neubebauung des Geländes diskutiert worden. Im Rahmen des so genannten Werkstattverfahrens wurde die Ecke Keupstraße / Schanzenstraße explizit als Standort für einen Gedenkort benannt. Auch der parallele Wettbewerb für ein Mahnmal zur Erinnerung an die Kölner NSU-Bombenanschläge weckte große Hoffnungen. Schließlich hatten sich alle Beteiligten, darunter auch Bewohner*innen der Keupstraße, Betroffene der Bombenanschläge und Stadtteilinitiativen einvernehmlich für den Entwurf eines interaktiven Gedenkorts des Berliner Künstlers Ulf Aminde entschieden, der seine physische Präsenz an eben jener Ecke Keupstraße/Schanzenstraße finden sollte.

Doch seitdem geriet der Prozess, der so hoffnungsvoll begonnen hatte, ins Stocken. Die Eigentümergemeinschaft des besagten Areals will von diesen Plänen nichts gewusst haben und weigert sich bis heute, eine Zusage für den Gedenkort an dieser Stelle zu geben. Mit dem lapidaren Verweis, dass der anvisierte Standort Privateigentum sei und die Kommune somit keine Handlungsmöglichkeiten habe, stiehlt sich die Kölner Politik und Verwaltung seitdem aus der Verantwortung. 

Für uns, als Initiativen, die sich in dieser Stadt auf vielfältige Weise gegen Rassismus und für eine lebenswerte  Stadt für Alle engagieren, ist dieses verantwortungslose Verhalten nicht nachvollziehbar. Die Stadtverwaltung hat Spielräume, den Gedenkort an der Keupstraße zu realisieren und wir fordern sie auf, diese endlich zu nutzen. 

Die Initiative „Herkesin Meydanı — Platz für Alle“ hat in ihrer Eingabe vom 20.02.2020 an den Ausschuss für Anregungen der Stadt Köln, die Ihnen zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten benannt: 

– Die Stadt möge einen angebotsbezogenen Bebauungsplan aufstellen, der den „Herkesin Meydanı — Platz für alle“ an der Keupstraße/Ecke Schanzenstraße als Standort für das Mahnmal festschreibt.

– Im Falle eines Verkaufs des Grundstücks durch die Eigentümergemeinschaft möge die Stadt ihr Vorkaufsrecht geltend ma­­chen und die für den Gedenkort notwendige Fläche erwerben. 

Wir, die unterzeichnenden Initiativen, sowie Betroffene der rassistischen Anschläge des NSU und AnwohnerInnen der Keupstraße, fordern die Stadt Köln auf, die Aufstellung eines rechtsverbindlichen Bebauungsplanes einzuleiten, um das Mahnmal an der Ecke Keupstraße/Schanzenstraße so bald wie möglich zu realisieren. 

Zur Erinnerung — denn oft scheint es schon heute in Vergessenheit geraten zu sein: Der Anschlag des NSU in der Keupstraße zielte auf eine Vielzahl von Toten in der belebten Straße. Nur zufällig kam in Köln bei den beiden Bombenanschlägen niemand zu Tode. Der NSU hat mit seinen Anschlägen gezielt Orte und Menschen angegriffen, die die „Gesellschaft der Vielen“ darstellen. Die Anschlagsziele sind nicht willkürlich ausgewählt worden, sie galten ausnahmslos Kleinunternehmer*innen, die sich hier eine Existenz aufgebaut hatten. 

Die Absichten der unbekannten Täter schienen zunächst aufzugehen. Die Ermittlungen der Polizei richteten sich ausschließlich gegen die Betroffenen. So wurden die Opfer zu Tätern gemacht und die Betroffenen erfuhren weder gesellschaftliche Solidarität noch offizielle Unterstützung. Die Anschläge und die Stigmatisierung der Betroffenen haben Verletzungen, Traumata und unermessliches Leid hinterlassen. Doch nach der Selbstenttarnung des NSU gab es auch in Köln eine Welle der Solidarität, so dass der Terror sein Ziel nicht erreichte. Die Keupstraße blühte wieder auf und wurde zum Symbol der vielfältigen postmigrantischen Stadtgesellschaft. 

Status Quo — Leere Versprechen

Doch das Versprechen der Bundeskanzlerin nach lückenloser Aufklärung wurde nicht eingelöst und die weitverzweigten Nazi-Netzwerke und die Verstrickung der Behörden nicht aufgedeckt. Die Morde in Hanau, die Anschläge in Halle und der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sowie die alltägliche rassistische Gewalt zeigen, dass die Nazi-Netzwerke noch gestärkt wurden. Entgegen aller offiziellen Bekenntnisse zur Solidarität ist das Mahnmal in Keupstraße bis heute nicht realisiert worden.

Dabei weckten die Pläne berechtigte Hoffnungen auf ein würdevolles Gedenken. Das Konzept wird von den Betroffenen der Keupstraße und der Probsteigasse befürwortet. Nun droht es zwischen den Interessen der Eigentümer, städtebaulicher Ideenlosigkeit und unverantwortlichen Handeln abgewertet zu werden. So gilt weiter das Diktum von Ibrahim Arslan, Überlebender des rassistischen Brandanschlags von Mölln 1992: „Das Erinnern wird erkämpft.“ 

Wir denken, es wird Zeit, dass sich in dieser Stadt alle  — Bewohner*innen, Initiativen, Politik und Verwaltung  — mit allen Kräften dafür einsetzen, dass das Mahnmal endlich genau an dem Ort, der von Nazi-Terroristen angegriffen wurde, realisiert wird. Zollen wir der Keupstraße als elementarem Bestandteil unserer Gesellschaft Respekt. Schaffen wir einen Platz für Alle, der neue vielfältige Perspektiven ermöglicht. Realisieren wir ein Mahnmal, das Rassismus anklagt, aber auch von Solidarität und der elementaren Bedeutung der Migration für unsere Stadt spricht. 

Nachtrag: Diesen offenen Brief und die Eingabe an die Stadt Köln haben wir seit einiger Zeit vorbereitet. Es ist erschütternd, dass wir nun zum Zeitpunkt unserer Einreichung weiteren Toten rassistischer Morde gedenken müssen. In Erinnerung an die Klage und Anklage der Angehörigen der NSU-Opfer, die schon 2006 in Kassel demonstrierten, fordern wir: „Kein weiteres Opfer“. In diesen Tagen sind unsere Gedanken, unser Mitgefühl und unsere Solidarität bei den Betroffenen, Angehörigen und Freund*innen der am 19.02.2020 in Hanau Ermordeten.

 

Initiative „Herkesin Meydanı — Platz für alle“

Erstunterzeichner*innen

Abdullah Özkan, Betroffener des Bombenanschlags 2004 in der Keupstraße | Ayfer Şentürk-Demir, Betroffene des Bombenanschlags 2004 in der Keupstraße | Emine Kahvecioğlu, Betroffene des Bombenanschlags 2004 in der Keupstraße | Hasan Yıldırım, Betroffener des Bombenanschlags 2004 in der Keupstraße, Kuaför | Ismet Büyük, Betroffener des Bombenanschlags 2004 in der Keupstraße | Muarrem Şentürk, Betroffener des Bombenanschlags 2004 in der Keupstraße | ­Muhammet Ayazgün, Betroffener des Bombenanschlags 2004 in der Keupstraße, Café-Betreiber auf der Keupstraße | Özcan Yıldırım, Betroffener des Bombenanschlags 2004 in der Keupstraße, Kuaför | Die betroffene Familie des NSU-Bombenanschlags in der Probsteigasse 2001 | Meral Sahin, Vorsitzende der IG Keupstraße | Mitat Özdemir, Ehrenvorsitzender der IG Keupstraße | İbrahim Arslan, Überlebender der rassistischen Brandanschläge von Mölln 1992 und erinnerungspolitischer Aktivist | Esther Bejarano, Überlebende des KZ Auschwitz-Birkenau, Musikerin, Ehrenvorsitzende der VVN-BDA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) | Familie Satır, Überlebende des Brandanschlages in Duisburg 1984

Initiativen:

Alevitisches Kulturzentrum Porz e.V | Allerweltshaus e.V. Köln | Antifa AK Köln | Autonomes Zentrum Köln | Bejarano & Microphone Mafia | Bürger*innenasyl Köln | Bürgerinitiative hab8cht | Deutsche Friedensgesellschaft — ­Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Gruppe Köln | DIDF (Föderation demokratischer Arbeitervereine e.V.) Köln | Friedensinitiative Köln Sülz/Klettenberg | GWM Geschichtswerkstatt Mülheim | Hacı Bektaş Veli Cemhaus |  IG Keupstraße | Initiative Nebenan.de | Initiative Keupstraße ist überall | Integrationshaus e.V. | Jugendclub Courage Köln e.V. | Komitee für Grundrechte und Demokratie | Migrantifa nrw | Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. | Peace Brigades International (pbi) Regionalgruppe Köln-Bonn | Pflanzstelle Kalk | Tribunal „NSU-Komplex auflösen“, Köln | TÜDAY — Menschenrechtsverein Türkei/Deutschland e.V.  | Verein der Forschungsstelle für interkulturelle Studien (FiSt e.V.) | Initiative Duisburg 1984 | Naturfreunde Ortsgruppe Kalk und Bezirksgruppe Köln | 

Einzelpersonen:

Joram Bejarano, Musiker | Prof. Dr. A. Panagiotopoulou, Universität zu Köln | Dr. Anne Klein, Universität zu Köln | PD Dr. Bettina Lösch, Universität zu Köln | Boris Sieverts, Kunst und Stadtführungen |  Doğan Akhanlı, Schriftsteller| Edith Lunnebach, Rechtsanwältin Nebenklage NSU-­Prozess, Köln | Prof. Dr. Elizabeta Jonuz, Hochschule Hannover | Univ.-Prof. Dr. Erol Yıldız, Universität Innsbruck | Prof.in Dr. Gudrun Hentges, Universität zu Köln | Harald Fuchs | Dr. Jost Rebentisch, Bundesverband Information Beratung für NS-Verfolgte e.V., Köln | Jürgen Crummenerl | Dr. Jürgen Zepp, Universität zu Köln | Julia Lingenfelder , Universität zu Köln | Prof. Dr. Julia Reuter, Universität zu Köln | Prof. Dr. Kemal Bozay, Internationale Hochschule in Düsseldorf | Laura Bach | Univ.-Prof. Dr. Manuel Zahn, Universität zu Köln | Müslüm Sakinc, Alevitisches Kulturzentrum Porz e.V | Prof. Dr. Stefan Neubert, Universität zu Köln | Prof. Dr. em. Wolf-Dietrich Bukow, Universität zu Köln

 

 

 

 

 

 

 

 

 

text – und Bildquelle: platzfueralle@posteo.de, Fotocredit: Dörthe-Boxberg

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