Der heute 59-jährige Komiker Hape Kerkeling musste als junger, homosexueller Mann beim Fernsehen Mitte der Achtziger manch unangenehme Erfahrung machen, wie er jetzt im Gespräch erzählt. „Der WDR empfahl mir damals, eine Scheinbeziehung mit einer Frau zu führen. Mir wurde erst im Rückblick bewusst, wie schrecklich das eigentlich war“, sagt Kerkeling. Auf Rat seines guten Freundes Alfred Biolek habe er diesen Vorschlag abgelehnt und sei damit beim Sender „in Ungnade gefallen“.

Ein anderes Mal habe ihn ein Redakteur gebeten, vor der Kamera „nicht so schwul zu agieren“. Aber nicht nur Kerkeling sei von Mobbing betroffen gewesen. „Einer der Verantwortlichen leckte einmal morgens in seinem Büro in meinem Beisein meiner Redakteurin zur Begrüßung über die Hand“, erzählt der Komiker, „untermalt von der Bemerkung: ‚Das kennen Sie doch sicher von Ihren Katzen!‘“ Ihn habe dieses Verhalten schockiert.

Herr Kerkeling, oder muss ich jetzt sagen: Your Royal Highness? 
Bitte nicht, ich bin und bleibe der Herr Kerkeling.

Für Ihr neues Buch „Gebt mir etwas Zeit“ haben Sie Ahnenforschung betrieben und dabei herausgefunden: Sie sind womöglich ein Urenkel von König Edward VII. Unter anderen Umständen könnten Sie ungefähr auf Platz 111 der britischen Thronfolge stehen. 
Was sehr unwahrscheinlich wäre. Meine Großmutter Bertha wurde als nicht eheliche Tochter des Königs geboren, hätte also keinen Titel führen dürfen. Sie werden lachen, aber ich dachte schon als Kind, dass sie oft fehl am Platz wirkte. Meine Oma passte nicht so richtig in ihre robuste, kernige Umgebung. Sie war lustig, aber immer einen Tick feiner als die anderen. Über mich habe ich das nie gedacht.

Sie haben keine royalen Eigenschaften?
Ich wüsste nicht, welche. Sowas wie Bescheidenheit vielleicht?

Würden Sie eher mit Socken in Sandalen oder mit einem Fascinator, einem königlichen Kopfschmuck aus Federn, Blumen und Netzen, durch Köln laufen?
Mit einem Fascinator. Mit Socken in Sandalen würde ich ja auffallen.

Hinzu kommt, dass Sie Königin Beatrix der Niederlande verblüffend ähnlich sehen, wenn Sie es darauf anlegen. So sehr, dass man Sie 1991 sogar vor Schloss Bellevue vorfahren ließ – in dem Glauben, sie sei es. Ich denke, mehr Beweise brauchen wir nicht anzuführen.
Es scheint so eine Art Lebensbogen zu geben, bei dem auch die Vorfahren eine Rolle spielen und der am Ende Sinn ergeben muss, das ist schon erstaunlich.

In Ihrem Buch verknüpfen Sie die Geschichte Ihrer Ahnen mit Ihrer eigenen und beschreiben, wie Sie sich als junger Mann in Amsterdam Hals über Kopf verliebten –  in die Stadt Ihrer Vorfahren und in einen Mann. Wie peinlich sind Sie, wenn Sie verliebt sind? 
So peinlich wie jeder andere auch. Ich wirke dann so ungelenk. Ich finde keine Worte und mir steigt die Schamesröte ins Gesicht. Mein Gegenüber merkt: Aha, der weiß auch noch, dass er nicht ganz so helle ist. Das macht die Sache nicht besser.

Über das Verlieben schreiben Sie: „Ich verknalle mich nicht leicht, nicht oft, aber wenn, dann auf den ersten Blick und für immer.“ Sie glauben an die Liebe auf den ersten Blick?
Als ich meinen Mann das erste Mal gesehen habe, wusste ich, dass ich ihn heiraten werde. Und das ist jetzt 25 Jahre her.

Was machte Sie so sicher?
Dieses magnetische Gefühl, als ob zwei Eisenbahnwaggons schicksalhaft aneinandergekoppelt werden. Der Vergleich klingt nicht besonders romantisch, fällt mir gerade auf. Ein Bund fürs Leben eben.

Die große Liebe, die Sie in Amsterdam gefunden hatten, verloren Sie später an Aids. Es muss hart gewesen sein, das aufzuschreiben. 
Es war extrem schwer. Berufenere Autoren als ich sagen, dass ein Text erst da anfängt, interessant und literarisch zu werden, wo die Schmerzen des Autors beginnen. Ich entschied mich also dazu, über eine der größten Katastrophen meines Lebens zu schreiben.

Hat sich Ihre Definition von der einen großen Liebe verändert? 
Nein, es ist immer die eine große Liebe in dem Moment, und außer der gibt es nichts anderes. Aber ich glaube daran, dass man sie nicht nur einmal, sondern in unterschiedlicher Weise erleben kann. Dazu gehört Glück, denn sie ist sehr selten.

Sie haben früh zwei der wichtigsten Menschen Ihres Lebens verloren, Ihre Mutter und Ihren Partner. Wie haben Sie gelernt, mit Verlust umzugehen?
Es hilft, den Verlust als Bestandteil des Lebens zu akzeptieren. Um den Wert des Lebens richtig schätzen zu können, geht es bedauerlicherweise nicht ohne Verlust. Mit jedem Einatmen nehme ich etwas zu mir und mit jedem Ausatmen gebe ich etwas ab und verliere es.

Wie ist es Ihnen gelungen, nicht zu verbittern? 
Ich bin ein gläubiger, oder sagen wir ein spiritueller Mensch, das half mir. Ebenso wie meine Großmutter. Nach dem Suizid meiner Mutter kümmerte sie sich darum, dass aus mir etwas halbwegs Anständiges wird. Sie gab mir das spirituelle und humoristische Rüstzeug fürs Leben mit. Je älter ich werde, desto bewusster wird mir: Ohne die Prägung dieser Großmutter wäre ich verloren gewesen.

Was war das Wichtigste, das Sie Ihnen mitgab? 
Das Gefühl, dass ich so, wie ich bin, in Ordnung bin. Sie sagte mir: „Wenn andere etwas an dir stört, dann lass sie doch. Das Entscheidende ist, dass es dich nicht stört. Solange du niemandem schadest, kannst du machen, was du willst.“

Sie seien ein spießiger Schwuler „mit bäuerlicher Verklemmung“, schreiben Sie. Was meinen Sie damit? 
Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Ich liebe den Christopher Street Day, ich liebe die Pride, ich finde alles, was da passiert, wichtig und toll. Aber ich käme nie auf die Idee, mir einen regenbogenfarbenen Tanga anzuziehen und nur damit bekleidet auf einem Wagen zu feiern. Jedenfalls nicht als Privatperson, da bin ich spießig schwul.

Das Unbeholfene, leicht Verklemmte prädestiniere Sie zum Comedian, sagen Sie. 
Man nutzt die eigene Peinlichkeit, das ist doch eigentlich sehr klug. Comedians sind alle verklemmt, auf die eine oder andere Weise. Die meisten hatten schon früh Probleme, in der Schule oder weil sie nicht an die Mädchen rangekommen sind, die sie gut fanden. Es sind oft die simplen Dinge im Leben, die uns prägen.

In der Zeit, in der Sie aufwuchsen und erste berufliche Erfolge feierten, war es nicht leicht, homosexuell zu sein, schon gar nicht als Person in der Öffentlichkeit. 
Der WDR empfahl mir damals, eine Scheinbeziehung mit einer Frau zu führen. Mir wurde erst im Rückblick bewusst, wie schrecklich das eigentlich war. Meine Großmutter hatte mich bereits auf so etwas vorbereitet. „Du wirst es wohl erst mal geheim halten müssen“, sagte sie. Sie wollte nicht, dass ich mir das Leben unnötig schwer mache, indem ich herumerzähle, dass ich schwul bin.

Haben Sie mit Ihrer Großmutter viel darüber gesprochen?
Nein, sehr wenig, weil sie daraus kein Problem gemacht hat. Für sie war das normal. Dank meiner Ahnenforschung weiß ich jetzt, dass sie von einem etwas skurrilen, unkonventionellen Ehepaar erzogen wurde. Wahrscheinlich kam daher ihr offener Geist. Im Rückblick war das Versteckspiel im TV-Geschäft harter Tobak, den ich schlucken musste.

Gab es nicht auch andere Kollegen beim WDR, die homosexuell waren?
Zum Glück hatte ich meinen väterlichen Freund Alfred Biolek, der mir zur Seite stand und mit dem ich mich immer wieder austauschen konnte. Als ich ihm von der vorgeschlagenen Scheinbeziehung erzählte, sagte er: „Um Gottes Willen! Fang das bloß nicht an!“ Auf diesen Rat habe ich gehört. Ansonsten war das eher hinter den Kulissen Thema. Aber es kam auch vor, dass ein Redakteur mir sagte: „Sie dürfen nicht so schwul vor der Kamera agieren!“ Und ich dachte: „Oh Gott. Man sieht es! Was mache ich denn jetzt? Ich bin nun mal ich.“

Was verstand der Redakteur unter „schwul agieren“? 
Er meinte damit wohl ein für einen heterosexuellen Mann ungehöriges queeres Auftreten. Ich begann, mich zu kontrollieren, versuchte, möglichst heterosexuell zu wirken.

Wie reagierte der WDR darauf, dass Sie ablehnten, eine Scheinbeziehung zu führen?
Ich war in Ungnade gefallen, galt nun als derjenige, der sich nichts sagen ließ. Dieses Rebellische bewahrte ich mir. Als einer der Direktoren mich im Fahrstuhl nicht zurück grüßte, sprach ich ihn direkt darauf an.

Und? 
Nichts. Er reagierte nicht und sah an mir vorbei. Ich sagte nur: „Vielen Dank, dann weiß ich ja, woran ich bin.“ Wir sind uns danach nie wieder begegnet. Aber Überheblichkeit ist bis heute nicht ausgestorben.

Das klingt nach Mobbing. 
Das war es wohl auch. Aber nicht nur ich war davon betroffen. Einer der Verantwortlichen leckte einmal morgens in seinem Büro in meinem Beisein meiner Redakteurin zur Begrüßung über die Hand, untermalt von der Bemerkung: „Das kennen Sie doch sicher von Ihren Katzen!“.

Wieso ließ man sich so etwas gefallen?
Es ist 40 Jahre her. Meine Kollegin und ich waren jung und der Vorgesetzte eine Respektsperson kurz vor der Rente. Er demonstrierte und missbrauchte seine Macht. Was ist eine angemessene Reaktion darauf? War das schon ein sexueller Übergriff oder vielleicht doch noch eine Art von ungewöhnlichem Humor? Ich war schockiert.

Nach etwa zweijähriger Zusammenarbeit kündigte Ihnen der WDR.  
Das erfuhr ich aus dem Kölner „Express“, damals war ich 22.

Wie lernt man, Job-Angelegenheiten nicht persönlich zu nehmen?
Indem man das ordentlich trennt. Man sollte sein Geschäft nie zu emotional betreiben, sondern mit holländischer Vernunft. Bei meiner Ahnenforschung stellte ich fest, dass ich zu etwa 60 Prozent holländisch bin und ich glaube, diese vernünftige Herangehensweise ist das Holländische an mir. Und dass ich wie die Holländer vor allem Kaffee trinke, statt Vitamin C in Obstform zu mir zu nehmen. Äpfel konnten im 17. Jahrhundert angeblich die Pest übertragen.

Was würden Sie jungen Menschen raten, die heute in die Showbranche wollen? 
„Lern erst mal was Anständiges.“ Die Showbranche an sich gibt es nicht mehr. Als Teenager hätte ich die sozialen Medien und diesen ganzen Mist geliebt. Ich nenne das Mist, weil es auch viel Schaden anrichtet, aber wenn man das zu nutzen weiß, sich an einem Fernsehsender vorbei der Öffentlichkeit zu präsentieren, ist das völlig ohne Ironie ein großes Geschenk.

Was ist wichtiger für die Karriere: regelmäßig zu scheiten oder regelmäßig Erfolg zu haben? 
Immer wieder zu scheitern. Wer hat denn schon regelmäßig Erfolg?

Sie?
Oh Gott, ich bin so oft gescheitert. Mit den Jahren legt sich zum Glück die Gnade des Vergessens über all die Flops, die jemand produziert hat. Aber erinnern Sie die Leser jetzt bloß nicht an die schlechten Shows, schreiben Sie als Antwort: „Jaja, das waren Zeiten, ein Erfolg jagte den nächsten“. In Wahrheit hatte ich fünf, sechs Jahre eine unheimliche Flaute, in der ich überlegte, ob es nicht besser wäre, Heilpraktiker zu werden. Ich bin sogar auf die Heilpraktikerschule gegangen.

Hape Kerkeling als Heilpraktiker?
Kurz vor der Abschlussprüfung bekam ich ein Angebot von meinem lieben Freund Fred Kogel, der mir den Show-Hintern gerettet hat. Sonst hätte ich eine meiner schönsten und erfolgreichsten Sendungen „Darüber lacht die Welt“ niemals moderiert und würde mich stattdessen vielleicht mit homöopathischen Pillen und Abtasten beschäftigen – das bin ich nicht!

Meinen Sie, Komik ohne Tragik ist möglich?
Es gibt Komik ohne Tragik, aber die ist nicht lustig und geht nicht ans Herz. Ich befürchte, jeder Mensch in meinem Umfeld, der wirklich lustig ist, hat das ein oder andere Problem.

Erst ein neues Buch, und jetzt soll in den kommenden Jahren auch noch ein neuer Horst-Schlämmer-Film entstehen. Verraten Sie, worum es geht?
Horst Schlämmer hat immer noch Rücken!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: Stern, Fotocredit: Hape Kerkeling/Instagram

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