Als erster Kinofilm handelt „Der vermessene Mensch“ vom Genozid, den die „Deutsche Schutztruppe“ zwischen 1904 und 1908 in der Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ begangen hat. Der Film erzählt von einem jungen Berliner Ethnologen, der zum Zeugen dieses Völkermords an den Herero und Nama wird – und dabei auch die eigenen moralischen Grenzen übertritt.
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Die Kino-Koproduktion „Der vermessene Mensch“ war bei ihrer Veröffentlichung im Jahr 2023 der erste deutsche Kinofilm, der deutsche Kolonialgeschichte auf die Leinwand brachte. Filmemacher Lars Kraume und sein deutsch-namibisches Team sind einen langen gemeinsamen Weg gegangen, um sich erzählerisch ganz bewusst für eine Täterperspektive zu entscheiden. Denn die Geschichte der großen Freiheitskämpfer der unterdrückten Völker im heutigen Namibia gehört deren Nachfahren und sollte nicht von Deutschen erzählt werden. Doch gerade mit dieser Erzählhaltung löste die Produktion nach der Premiere auf der Berlinale eine hitzige Debatte aus.
Generell gibt es in Deutschland zu wenig Kenntnis über den Krieg und die Vertreibung und Vernichtung der Herero und Nama im ehemaligen „Deutsch-Südwestafrika“ und über die Rolle der Wissenschaft bei diesen mörderischen Geschehnissen. Vielleicht ist gerade deshalb in den letzten Jahren eine heftige Diskussion über strukturellen Rassismus, Dekolonisierung und anhaltende koloniale Ausbeutung geführt worden.
An die ZDF-Ausstrahlung schließen wir eine geschichtswissenschaftliche Dokumentation an. Dort führt die namibischstämmige Juristin Ngutijua Hijanguru-Kutako die Zuschauerinnen und Zuschauer durch ihr Heimatland und spricht mit Wissenschaftlern und Historikern. Zusätzlich wird es weitere Informationen und Begleitsendungen in der ZDFmediathek und im Programmumfeld geben, um einem hoch relevanten, aber nur wenig beachteten Thema Raum zu geben ‒ dem Krieg, der Vertreibung und der Vernichtung der Herero und Nama im ehemaligen „Deutsch-Südwestafrika“ und der Rolle der Wissenschaft bei diesen mörderischen Geschehnissen.
Frank Zervos, Hauptredaktionsleiter Fernsehfilm/Serie I, stellvertretender Programmdirektor
Als erster Kinofilm handelt „Der vermessene Mensch“ vom Genozid, den die „Deutsche Schutztruppe“ zwischen 1904 und 1908 in der Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ begangen hat. Der Film erzählt von einem jungen Berliner Ethnologen, der zum Zeugen dieses Völkermords an den Herero und Nama wird – und dabei auch die eigenen moralischen Grenzen übertritt.
Berlin, Ende des 19. Jahrhunderts: Alexander Hoffmann ist ein ehrgeiziger Ethnologie-Doktorand an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Als im Zuge der „Deutschen Kolonial-Ausstellung“ eine Delegation von Herero und Nama aus der Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ nach Berlin reist, lernt Hoffmann die Dolmetscherin der Gruppe, Kezia Kambazembi, kennen. Hoffmann entwickelt ein intensives Interesse an den Herero und Nama – und widerspricht nach den Begegnungen und Gesprächen mit ihnen der gängigen evolutionistischen Rassentheorie. Nachdem der Aufstand der Herero und Nama in der Kolonie niedergeschlagen wird und die Kolonialherren einen blutigen Vernichtungskrieg beginnen, reist Hoffmann im Schutz der kaiserlichen Armee durch das Land und sammelt für das Berliner Völkerkundemuseum zurückgelassene Artefakte und Kunstgegenstände. In Wahrheit sucht er jedoch weiter nach Beweisen für seine These – und nach Kezia. Vor Ort erlebt Hoffmann mit, wie deutsche Soldaten mit unmenschlicher Härte den Vernichtungsbefehl ausführen. Doch auch der Ethnologe überschreitet zunehmend moralische Grenzen, als er einwilligt, seinem Berliner Professor Schädel und Skelette von toten Herero zum Zwecke der Forschung zu schicken.
„Eine unerzählte Geschichte“ – Interview mit Lars Kraume anlässlich des Kinostarts
Herr Kraume, „Der vermessene Mensch“ ist nach mehreren historischen Filmen Ihr erster Film zum deutschen Kolonialismus. Was ist Ihr persönlicher Bezug zu dem Thema?
Ich bin 1992 und 1993 nach Namibia gereist, direkt nach der Schule. Kurz zuvor, im Jahr 1990, war Namibia als letztes afrikanisches Land unabhängig geworden. Ich habe einfach nur gestaunt, die Spuren deutscher Kolonialzeit in so einem Land noch eingeschrieben zu sehen. Man kennt das aus britischen oder französischen Kolonialgebieten, aber kaum aus der deutschen Geschichte. In Swakopmund gibt es eine Bismarckstraße, und es wird Schweinshaxe gegessen. Ich war noch ganz jung und sehr irritiert, weil ich davon überhaupt nichts wusste.
Wie aktuell diese koloniale Vergangenheit tatsächlich ist, sieht man an den Debatten der letzten Jahre, um Raubkunst und den Umgang mit den verschiedenen ethnologischen Museen, allen voran dem Humboldt Forum in Berlin. Meine letzten Filme haben sich immer mit deutscher Vergangenheit befasst, und ich empfinde die deutsche Kolonialzeit immer noch als eine weitgehend unerzählte Geschichte.
Auch im deutschen Film bildet der Kolonialismus also eine Leerstelle?
Es gibt kaum deutsche Filme, die sich damit beschäftigen. Es gab Nazi-Propagandafilme über die Kolonialzeit, etwa über Carl Peters, einen schrecklichen Mann. Dann gibt es zwei großartige Filme von Werner Herzog über Kolonialismus und Sklavenhandel. Aber die haben nichts mit dieser Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts zu tun. Unser Film soll an den Genozid an den Herero und Nama erinnern.
Uwe Timms Roman „Morenga“ kam 1978 heraus und wurde sogar als Fernsehserie adaptiert. Warum ist das Thema deutscher Kolonialismus heute trotzdem kaum präsent?
„Morenga“ von Uwe Timm ist der bedeutendste Roman zu diesem Thema. Er war ein wichtiger Anfangspunkt für uns. Wir haben uns lange mit dem Buch beschäftigt und auch mit Uwe Timm viel gesprochen. Ich kenne auch die Verfilmung. Das Buch ist ungeheuer umfangreich. Obwohl es ein Soldatenroman ist, ist er sehr kritisch gegenüber dieser Kolonialdiktatur, von deren Gräueln uns die Hauptfigur berichtet. Das Fernsehen hat einen Dreiteiler daraus gemacht, aber danach hat sich niemand mehr filmisch mit dem Thema beschäftigt. Warum das so ist, kann ich nicht sagen. Aber es hat vermutlich mit dem zu tun, was uns auch immer wieder entgegengehalten wurde: Die deutsche Geschichte sei so schon unerträglich und grauenvoll, wer will da noch auf ein anderes Schlachtfeld schauen, wer will von dem unbekannten Genozid etwas hören?
Man hätte auch einen Film über Jakobus Morenga oder Hendrik Witbooi machen können, das sind starke Rebellenfiguren dieser Zeit. Warum nicht?
Die einzig legitime Erzählperspektive für uns ist die Täterperspektive. Damit verbietet sich eine deutsche Heldenfigur. Und die tragische Heldenreise eines Morenga zu erzählen, wäre kulturelle Aneignung in einer Form, die ich nicht akzeptabel finde. Witbooi, der Führer der Nama, ist eine ähnlich schillernde Figur wie Morenga. Seine „Witbooi-Papers“ habe ich gelesen. Weil die Deutschen relativ spät zur Kolonialmacht wurden, und er sehr gebildet war, war ihm völlig klar, was die Deutschen vorhatten. Er hatte den Vergleich aus anderen Gebieten wie der englisch besetzten Kap-Kolonie. In seinen Briefen kann man die politische Weitsicht erkennen. Witbooi ist faszinierend, aber seine Geschichte müssen Nama-Regisseure erzählen. Wir müssen mit unserer Geschichte klarkommen, und unsere Geschichte ist die der Kolonisatoren, der Missionare, der Kaufleute, der Soldaten und Ethnologen. Früher hätte sich das Kino einfach die Geschichten der Freiheitskämpfer wie Morenga und Witbooi ungefragt genommen, wie zum Beispiel Mel Gibson in „Braveheart“. Aber diese Zeiten sind vorbei.
Stattdessen ist die Hauptfigur der Ethnologe Hoffmann. Wie würden Sie ihn und seine Absichten beschreiben? Dient er uns heutigen auch als Identifikationsfigur, bildet er eine Brücke?
Wir sehen im Kino gerne Heldenfiguren, als Projektionsfläche dessen, was wir gerne wären. Das ist bei einer so düsteren Geschichte einfach nicht möglich. Noch einmal: Es gibt leider nur sehr wenige deutsche Helden im 20. Jahrhundert. Dennoch ist Hoffmann eine Figur, in der wir uns als Menschen spiegeln können, eben weil er korrumpierbar und moralisch nicht gefestigt ist. Am Anfang der Geschichte ist er vor allem naiv. Wie die meisten Menschen ist er weder böse noch besonders gut, aber er arbeitet in einem finsteren Geschäft. Schon in der ersten Szene muss er den Schädel eines toten jungen Mannes, der bei einer Messerstecherei gestorben ist, kaufen und auskochen lassen, um ihn als Objekt in der Universität zu präsentieren. Seine Wissenschaft ist also von Anfang an unheilvoll mit dem Tod verbunden. Heute betrachten wir die Phrenologie, also Schädelkunde als Pseudowissenschaft. Gleichzeitig gehört er zu den Akademikern jener Zeit, die den Rassismus widerlegen wollen. Für ihn gibt es nur eine Menschenrasse, den Homo sapiens. Alle Unterschiede beruhen laut diesem „Diffusionismus“ auf kultureller Prägung. Er widerspricht damit dem „Evolutionismus“, den Rassisten, die deutlich in der Mehrheit waren. Auf seiner Reise sieht er dann, zu welchen Gräueln der Kolonialismus in der Lage ist. Was er in „Deutsch-Südwestafrika“ erlebt, verändert ihn und bringt ihn an den Rand seiner eigenen Existenz.
Auf einer „Völkerschau“ in Berlin lernt Hoffmann die Herero-Frau Kezia kennen. Welche Rolle spielt sie in seinem Erkenntnisprozess?
Bei unseren Recherchen stießen wir auf die Völkerschau von 1896 im Treptower Park in Berlin. Eine Delegation der Herero und Nama war angereist in der Hoffnung, hier diplomatische Beziehungen aufnehmen zu können. Tatsächlich wurden sie in einem Menschenzoo ausgestellt. In dieser Situation also tritt der naive und kulturell interessierte Ethnologe auf Kezia. Er soll ihren Kopf vermessen, zum Zwecke der Rassenforschung und Intelligenzbestimmung. Diese Schädelvermessung ist verrückt und zutiefst rassistisch, und wird von Kezia als ungeheure Erniedrigung empfunden. Auch er merkt, dass er eine Grenze überschritten hat. Womit er allerdings weitermachen wird, was man kurz darauf in einem Moment sieht, indem er sie etwas zu zärtlich anfasst. Er kommt aus einem rassistischen Kontext, und auch sein Konformismus wird früh erkennbar.
Gibt es dafür historische Vorbilder?
Die historischen Vorbilder sind etwa Adolf Bastian (1826‒1905), der Gründer des Völkerkundemuseums Berlin und auch sein Direktorialassistent Felix von Luschan (1854‒1924). Sie sind allerdings eine etwas ältere Generation und daher vielleicht eher Vorbilder für den Professor, gespielt von Peter Simonischek. Insgesamt waren für mich die Biografien dieser Ethnologen der ersten Stunde interessant, wie auch zum Beispiel Leo Frobenius (1873‒1938).
Girley Jazama, die die weibliche Hauptrolle spielt, stammt selbst aus Namibia. Inwieweit waren namibische Künstlerinnen und Künstler in das Projekt eingebunden?
Wer vom Kolonialismus redet, muss auch von den Opfern reden. Und man muss mit ihnen reden, ihnen Raum geben, ohne ihnen ihre Geschichte wegzunehmen. Girley ist selbst Herero, außerdem Autorin und Produzentin, und sie war für mich die wichtigste Beratung, um die Figur in ihrer Zeit zu verstehen. Zum Beispiel hat sie mir klargemacht, dass man hier keine Liebesgeschichte erwarten darf. Für eine Herero-Frau zu dieser Zeit gibt es keine sinnliche oder erotische Beziehung zu einem weißen deutschen Mann, weil Besatzung, Gräuel und Gewalt längst begonnen haben. So viele namibische Mitarbeiter wie möglich zu beschäftigen, war uns aus vielerlei Gründen wichtig. Die Kleidung der Herero etwa wurde von Cynthia Schimming kreiert, einer inzwischen leider verstorbenen namibischen Kostümbildnerin, die auch schon am Ethnologischen Museum im Humboldt Forum gearbeitet und sich sozusagen wissenschaftlich mit den historischen Kostümen der Herero beschäftigt hat. Das Dorf, in dem wir gedreht haben, wurde komplett gebaut von Himba, einer verwandten Volksgruppe, die immer noch traditionell leben und die traditionellen Bauweisen kennen.
Stichwort Wissenschaft: Welche Rolle spielte die im Kolonialismus?
Die „Rassenforschung“ der damaligen Zeit diente dem Kolonialismus als wissenschaftliche Legitimation und führte letztlich zu den Rassentheorien der Nazis. Auf diesem Feld arbeitet unser Ethnologe, aber die Tragödie der deutschen Ethnologiegeschichte zu dieser Zeit reicht noch weiter: Einerseits haben die Ethnologen gesehen, dass der Kolonialismus auf der ganzen Welt Kulturen unwiederbringlich zerstört. Davon wollten sie so viel wie möglich studieren, besitzen und damit auch bewahren. Wissenschaftler haben tatsächlich mit Offizieren paktiert, um an gewisse Gegenstände ranzukommen. Sie haben gekungelt, geraubt und Gräber geschändet, um ihre Sammlung zu füllen. Als deutsche Ethnologen die Benin-Bronzen auf Auktionen in London kauften, wussten sie, dass die Engländer sie gestohlen hatten. Aber es war ihnen egal.
Zu dem Diebesgut der ethnologischen Sammlungen zählen auch menschliche Überreste, darunter Schädel der Herero, die Hoffmann sammelt. Dieser besonders düstere Aspekt der Geschichte wird auch in einigen Dialogen behandelt. Was war Ihnen dabei wichtig?
Die Schädel, die noch immer zu Tausenden in Deutschland lagern, müssen sofort restituiert werden. Sie sind das stärkste Symbol dafür, wie unglaublich aktuell diese verdrängte Geschichte ist. Im Film wollten wir verschiedene Positionen verdeutlichen, die im Kolonialismus eine Rolle spielen. Da gibt es einen Missionar, einen Soldaten. Ein Kaufmann wäre eigentlich auch wichtig gewesen. Der Offizier Crensky ist eine wichtige Figur, als ein Befehlsempfänger, der einfach nur seinen Dienst tut. Er wird in ein Land geschickt und soll dort Krieg führen. Gegen ein, aus der Sicht des Kaiserreichs, rebellisches Untertanenvolk, das sich gefälligst fügen soll. Insofern hat er eine relativ klare Position, die man aus der deutschen Geschichte gut kennt: der Soldat, der seine Befehle nicht infrage stellt. Mit dem Ethnologen gerät er in einen moralischen Disput, weil der sagt: Ihr seid die Handlanger der Kaufleute, ihr macht euch hier schuldig. Der Soldat wiederum entgegnet, vor ihm hätten die Herero gar nicht so viel Angst, weil er sie nur tötet. Hoffmann hingegen, der Schädel sammelt, nehme auch noch ihre Geister mit. Da stellt sich durchaus die Frage: Wer ist eigentlich schlimmer, die Soldaten oder die Wissenschaftler.
Die Szene zeigt auch, welche Bedeutung die Schädel für die Herero haben.
Das macht es ja so schrecklich. Weil die Phrenologen die Schädel mitgenommen haben, kommen die Toten nicht zur Ruhe. Man muss sich nur vorstellen: Würde der Kopf meiner Urgroßmutter in einem Museum in Windhoek lagern, würde ich den auch zurückhaben wollen, um ihn zu beerdigen. Auch Christen wissen schließlich, was eine Bestattung ist. Wie diese Doppelmoral der angeblich so „zivilisierten“ Kolonialherren zu legitimieren sein könnte, erschließt sich nur, wenn man Rassist ist. Es ist auch nicht zu begreifen, wieso diese Schädel nicht längst alle restituiert sind.
Die Darstellung von Völkermord gilt auch in Bezug auf den Holocaust seit jeher als besonders problematisch. Wie sind Sie vorgegangen?
Ich finde dieses Problembewusstsein völlig richtig. Manchmal denke ich: Was ist in den letzten Jahrzehnten eigentlich passiert, dass wir so vollkommen schamlos denken, alles inszenieren zu können, was es an deutscher Geschichte gab? Man muss schon sehr genau überlegen, was man macht und wie man es macht. Wenn man einen Genozid zur Kolonialzeit inszeniert, zeigt man weiße Männer, die schwarzen Menschen Gewalt antun. Jeder Film, der versucht, das so hart und realistisch zu inszenieren, wie es vielleicht wirklich war, scheitert fast immer, weil die Realität einfach noch viel brutaler ist. Man muss sich nur vorstellen, was es bedeutet, einem Volk kollektiv den Tod zu erklären. Das ist das, was General von Trotha gemacht hat. Das Elend, das diesen Menschen widerfahren ist, ist nicht zu inszenieren. Wir haben es daher nur angedeutet. Normalerweise würde das Kino etwas anderes machen, die Gewalt nämlich zu Sensationszwecken ausbeuten. Und das ist in einer Zeit, die immer noch so stark von Rassismus geprägt ist wie unsere Gegenwart, einfach nicht okay. Wir verheimlichen natürlich auch nichts. Man weiß schon, was da passiert. Aber wir versuchen nicht, die Gewalt spekulativ auszubeuten.
Wir sprechen von Erschießungen, vom Verdursten in der Wüste.
Der Genozid bestand zum größten Teil darin, dass man das Volk in die Omaheke-Wüste getrieben hat, um es dort verdursten zu lassen. Dazu haben die deutschen Soldaten alle Wasserlöcher besetzt. Im Film zeigen wir von einem Berg aus der großen Totale den Versuch der Menschen, nach Botswana zu flüchten. Aber der Schnitt runter in die Wüste, wenn man das filmt, was da passiert ist, dann sprechen wir von Kriegern, die ihre frischgeborenen Babys zurücklassen, um die Milch der Frauen zu trinken, damit sie wehrhaft bleiben. Von Menschen, die das Blut ihrer Ziegen trinken. Und einfach in der Wüste verdursten. Dieses Leid zu filmen, bedeutet einen Horrorfilm zu drehen. Stattdessen war es uns wichtig, mit der Kamera eine gewisse Distanz zu wahren, die neutral bleibt, nicht manipuliert. Auf einer anderen Ebene ist die Musik ein wichtiges Mittel. Sie schafft eine permanente Angst und Unruhe.
Sie sind mehrmals nach Namibia gereist. Welche Rolle spielt der Völkermord dort? Wie wird seiner gedacht?
Nach dem Ende der deutschen Kolonialzeit wurde das heutige Namibia von Südafrika besetzt, bis 1990. In diesen siebzig Jahren wurde nicht viel über den Genozid an den Herero und Nama geredet. Erst seit der Unabhängigkeit in den 1990ern kam das Thema wieder auf. Seitdem gewinnt es zwar zunehmend an Bedeutung, aber leider vor allem nur für die Opfergruppen und erst sehr langsam für die Bundesregierung. Seit vielen Jahren wird nun über Reparationen und Restitution verhandelt. Eigentlich müsste der Bundespräsident längst um Entschuldigung gebeten haben. Aber immerhin laufen inzwischen diese Gespräche und Verhandlungen.
Was sind dort in Bezug auf Restitution und Reparation die wichtigsten Streitfragen?
Im Land selbst sind die Herero und Nama nur eine Minderheit. Die Verhandlung der Bundesregierung mit der namibischen Regierung ist also auch darum umstritten, weil diese die Herero und Nama nur unzureichend abbildet. Aber Bénédicte Savoy und Felwine Sarr, die den großartigen Bericht zum Thema afrikanischer Raubkunst geschrieben haben, sagen ganz klar: Fast die gesamten Kunst- und Kulturschätze des Gebiets der Subsahara lagern heute in Europa. Die müssen alle zurück, weil diese Gesellschaften und Länder keine kulturelle Identität ausbilden können, wenn sie nicht die Möglichkeit haben, mit ihrer Vergangenheit, mit ihrer Kunst und Kultur in irgendeiner Form in Verbindung zu treten. Und in diesen Bereich der Restitution fallen auch die menschlichen Überreste. Auch die gehören zurückgegeben, mit all den Artefakten, die hier in Museen lagern.
Was wollen Sie mit Ihrem Film erreichen?
Ich hoffe, dass die Zuschauer nach dem Film über ein weitgehend verdrängtes Kapitel der Geschichte nachdenken, diskutieren und von mir aus streiten. Dann hoffe ich, dass die Diskussion so laut wird, dass wir endlich alle Human Remains restituieren, in der Frage der Restitution geraubter Kulturgüter weiterkommen und schließlich das lang verhandelte Reparationsabkommen zwischen der Bundesrepublik und Namibia so zustande kommt, dass es von den Vertretern der Opfergruppen der Herero, Nama, Damara und San akzeptiert wird.
Der Film kann natürlich nur ein kleiner Beitrag zu diesen großen Zielen sein. Er kann vielleicht vor allem eins schaffen: Er liefert emotional aufgeladene Bilder zu einer Zeit, die fotografisch kaum dokumentiert ist. Im Film sieht man, wie ein Ethnologe Kulturgüter raubt, was es bedeutet, Schädel zu sammeln, wie General von Trotha laut Quellenberichten seinen grausamen Befehl verliest und zwei Männer hängen lässt und wie ein Volk in die Wüste zum Verdursten geschickt wird. Der Film soll den Blick auf eine Wunde lenken, die nie verheilt ist.
Alexander Hoffmann – Leonard Scheicher
Kezia Kambazembi – Girley Charlene Jazama
Professor von Waldstätten – Peter Simonischek
Oberleutnant Wolf von Crensky – Sven Schelker
Korporal Kramer – Max Koch
Fähnrich Hartung – Ludger Bökelmann
Bernd Wendenburg – Leo Meier
Friedrich Maharero – Anton Paulus
Missionar Kuhlmann – Tilo Werner
General Lothar von Trotha – Alexander Radszun
Major Ludwig von Estorff – Michael Schenk
Henriette Hoffmann – Corinna Kirchhoff
u.v.a.
Text – und Bildquelle: ZDF, Fotocredit: ZDF/Julia Terjung